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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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bemerkte, daß unter der Schar der Pilger, die sich mit ihnen in dem dunklen Gange drängten, mehrere in seiner Tochter das junge Mädchen wiedererkannt hatten, an der sich am vorigen Tage das Wunder vollzogen hatte und deren Namen bereits glorreich von Mund zu Mund flog. Oben auf der runden Estrade, als man in das matte Licht trat, das durch eine Art Schleier einfiel, wurde Marie eine Ovation bereitet. Es erhob sich ein zartes Flüstern, die Leute richteten. verklärte Blicke auf sie und empfanden eine ekstatische Verzückung, ihr zu folgen, sie zu berühren. Es war, als ob ein Heiligenschein sie umgäbe. Um sie ein wenig in Vergessenheit zu bringen, mußte der mit der Erklärung beauftragte Beamte sich an die Spitze der kleinen Truppe der Besucher stellen. Er führte sie herum und erzählte die Episode, die die ungeheure, kreisförmige Leinwand von hundertundsechsundzwanzig Meter Länge darstellte. Es handelte sich um die siebzehnte Erscheinung der Heiligen Jungfrau vor Bernadette, an dem Morgen, da sie, vor der Grotte kniend, aus Versehen während der Vision die Hand auf der Flamme der Kerze gelassen hatte, ohne sich zu verbrennen. Die ganze alte Landschaft der ursprünglichen Grotte fand sich dort wieder, die ganze Szene war wiederhergestellt mit den historischen Personen, dem Arzt, der im Begriffe ist, das Wunder festzustellen, dem Bürgermeister, dem Polizeikommissar, dem Staatsanwalt, deren Namen der Beamte dem verblüfften Publikum nannte.
    Nun erinnerte sich Pierre infolge einer unbewußten Gedankenverbindung an das Wort, das der Kutscher eben zu ihm gesprochen hatte: »Lourdes hat gut angefangen, aber die Hauptsache ist, ob es lange dauern wird.« Das war in der Tat die Frage.
    Wie viele geweihte Heiligtümer waren bereits auf diese Weise auf die Stimme unschuldiger Kinder hin erbaut worden, die unter allen begnadet gewesen waren und denen die Heilige Jungfrau sich gezeigt hatte! Immer wieder war es dieselbe Geschichte: eine Erscheinung, eine Schäferin, die man verfolgte, die man als Lügnerin behandelte, dann ein dumpfer Drang des menschlichen Elends, der nach Täuschung dürstete, dann die Propaganda, der Triumph des wie ein Leuchtturm strahlenden Heiligtums und schließlich der Verfall, die Vergessenheit, wenn ein anderes Heiligtum anderswo aus dem verzückten Traum einer andern Seherin entstand. La Salette hatte die antiken heilenden Jungfrauen aus Holz oder Stein entthront, Lourdes hatte La Salette entthront, um wieder von Unserer Lieben Frau des nächsten Gnadenortes entthront zu werden, deren sanftes, trostreiches Gesicht sich einem reinen Kinde zeigen wird, das noch geboren werden muß. Wenn Lourdes ein so rasch aufblühendes, wunderbares Glück gehabt hatte, so verdankte es dies sicher nur der kleinen, aufrichtigen Seele, dem köstlichen Zauber der Bernadette. Hier war keine Heuchelei, keine Lüge. Es war einzig und allein die Blume des Leidens, ein verkrüppeltes, krankes Mädchen, das dem Volke der Kranken ihren Traum von Gerechtigkeit, von Gleichheit in dem Wunder brachte. Sie war nur die ewige Hoffnung, der ewige Trost. Außerdem schienen alle sozialen und historischen Umstände zusammengetroffen zu sein, um am Ende eines schrecklichen Jahrhunderts wissenschaftlicher Forschung das Bedürfnis dieser mystischen Erhebung zu verstärken, und darum würde Lourdes zweifellos noch lange in seinem Triumphe bestehen, bevor es nur zu einer Legende, einer toten Religion mit mächtigem, aber verflogenen Dufte wurde.
    O dieses alte Lourdes, diese Stadt des Friedens und des Glaubens, die einzig mögliche Wiege, in dem die Legende erstehen konnte! Wie leicht stellte Pierre es sich vor, als er das weite Gemälde des Panoramas umschritt! Das sagte alles, es lieferte den besten Aufschluß über die Dinge, den man erhalten konnte. Die eintönigen Erklärungen des Führers wurden nicht gehört, die Landschaft sprach von selbst. Da war in erster Reihe die Grotte, das Felsenloch am Ufer des Gaves, ein wilder Ort der Träumerei, dann buschige Abhänge, Steingeröll ohne einen geebneten Weg. Es war noch nichts geschehen, keine Verschönerungen waren angebracht worden, kein Monumentalquai, keine englischen Gartenalleen, die sich zwischen den beschnittenen Gebüschen hinschlängelten, waren angelegt, es war noch keine hergerichtete, verunstaltete, mit einem Gitter geschlossene Grotte da, und vor allem noch kein Laden mit religiösen Gegenständen, noch nicht die Bude der Simonie, die das Ärgernis der frommen Seelen

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