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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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bildete. Die Jungfrau hätte in der Weise keinen reizenderen Winkel wählen können, um sich der Auserkorenen ihres Herzens, dem armen Mädchen zu zeigen, das hier den Traum seiner qualvollen Nächte umherführte, indem es abgefallenes Holz aufhob. Dann sah er auf der andern Seite des Gaves, hinter den Felsen des Schlosses, das alte, vertrauensvolle und schlafende Lourdes. Ein anderes Zeitalter erstand vor ihm, eine kleine Stadt mit ihren engen gepflasterten Straßen, ihren schwarzen Häusern, mit den marmornen Einfassungen ihrer alten, halb spanischen Kirche voll antiker Skulpturen, die mit goldenen Erscheinungen und gemalten Figuren bevölkert war.
    Nur zweimal am Tage kamen die Postwagen von Bagnères und Cauterets, um die steile Chaussee der Rue Basse hinaufzufahren. Der Hauch des Jahrhunderts hatte noch nicht über diese friedlichen Dächer geweht, die eine zurückgebliebene, noch immer kindliche Bevölkerung schützten, und diese fügte sich in die engen Bande einer starken, religiösen Zucht. Es gab keinerlei Ausschweifungen, ein geringer, hundertjähriger Handel genügte für das tägliche Leben, ein ärmliches Leben, dessen Rauheit die Sitten schützte. Nie hatte Pierre besser begriffen, wie Bernadette, die in diesem Lande des Glaubens und der Ehrlichkeit geboren war, hier wie eine natürliche Rose erblühen konnte, die sich an den wilden Stöcken des Wegrandes erschlossen hatte.
    »Die Sache ist doch sehenswert«, erklärte Herr von Guersaint, als man sich wieder auf der Straße befand, »ich bereue es nicht, das gesehen zu haben.«
    Marie lächelte ebenfalls vergnügt.
    »Nicht wahr, Vater, man möchte glauben, man wäre drin. Zeitweise scheint es, als bewegten sich die Personen. Und wie reizend sie ist, die Bernadette, auf den Knien, in der Verzückung, während die Flamme der Kerze ihre Finger beleckt, ohne eine Brandwunde zu hinterlassen.«
    »Nun«, fuhr der Architekt fort, »haben wir nur noch eine Stunde und müssen doch daran denken, unsere Einkäufe zu machen, wenn wir überhaupt etwas kaufen wollen. Wollt ihr, daß wir in verschiedene Läden gehen? Wir haben allerdings Majesté versprochen, ihm den Vorzug zu geben, aber das hindert uns doch nicht, uns die Sachen auch anderwärts ein wenig anzusehen. Wie? Pierre, was meinen Sie dazu?«
    »Aber gewiß, wie Sie wollen«, versetzte der Priester. »Übrigens werden wir auf diese Weise auch einen Spaziergang machen.«
    Mit diesen Worten folgte er dem jungen Mädchen und ihrem Vater, die auf das Plateau de la Merlasse zurückkehrten. Seitdem er das Panorama verlassen hatte, empfand er ein eigentümliches Gefühl, als befände er sich an einem andern Ort. Es war, als wenn man ihn plötzlich von einer Stadt in eine andere gebracht hätte, die Jahrhunderte weit entfernt lag. Er verließ die Einsamkeit, den schlafenden Frieden des alten Lourdes, der durch das tote Licht des Vorhangs noch vermehrt wurde, um plötzlich in das neue, in blendendem Lichte strahlende Lourdes zu geraten, in dem eine lärmende Menge sich drängte. Es hatte eben zehn Uhr geschlagen. Das Treiben auf den Straßen war sehr lebhaft, ein ganzes Volk beeilte sich, seine Einkäufe zu beenden, um dann nur noch an die Abreise zu denken.
    Die Tausende von Pilgern der nationalen Pilgerfahrt strömten in einem letzten Durcheinander durch die Straßen und belagerten die Läden. Nach dem Geschrei zu urteilen, konnte man an das lärmende Treiben eines Jahrmarktes glauben, der unter dem ununterbrochenen Rollen der Wagen zu Ende geht. Viele versahen sich mit Vorräten für die Reise, kauften die unter freiem Himmel errichteten Buden vollständig aus, in denen Brote, Wurst und Schinken feilgehalten wurden. Man kaufte Früchte, man kaufte Wein, die Körbe füllten sich mit Flaschen, mit dicken Papieren bis zum Platzen. Ein umherziehender Händler, der Käse auf einem kleinen Wagen führte, sah seine Ware wie vom Winde fortgeweht verschwinden. Besonders aber kaufte die Menge religiöse Gegenstände, und umherziehende Händler, deren kleine Wagen mit Statuetten und frommen Kupferstichen beladen waren, machten glänzende Geschäfte. Die Käufer standen in ganzen Reihen hintereinander vor den Läden, die Frauen hatten ungeheure Rosenkränze umgebunden, hatten Heilige Jungfrauen unter den Armen und schleppten Feldflaschen fort, um sie in dem Wunderbrunnen zu füllen. Diese in der Hand getragenen oder an einem Gurtriemen hängenden Feldflaschen, die ein bis zehn Liter faßten, zum Teil ohne Bilder, zum Teil

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