Lourdes
Erdgeschoß des Hotels auf der linken Seite einnahm. Herr von Guersaint und Pierre folgten ihr. Appoline, die Nichte der Majestés, die mit dem Verkauf betraut war, stand auf einer Trittleiter und war im Begriff, aus einem hohen Schaukasten Weihkessel zu nehmen, um sie einem jungen Manne, einem eleganten Sänftenträger, der wunderbare gelbe Gamaschen trug, zu zeigen. Sie lachte mit einem reizenden Turteltaubengirren, mit den prächtigen Augen in dem etwas viereckigen Gesicht mit der geraden Stirn, den vollen Wangen und den starken roten Lippen.
Pierre sah ganz deutlich, wie die Hand des jungen Mannes den Strumpf eines Beines streichelte, das freiwillig hingehalten zu werden schien. Das war übrigens nur die Vision einer Sekunde. Das junge Mädchen war bereits behende zur Erde gesprungen und fragte:
»Sie glauben also nicht, daß dieser Weihkessel Ihrer Tante gefallen würde?«
»Nein, nein«, erwiderte der Herr und ging, »verschaffen Sie sich das andere Modell, ich reise erst morgen ab und werde wiederkommen.«
Als Appoline erfuhr, Marie sei das junge Mädchen, an dem sich das Wunder vollzogen hatte und von dem Frau Majesté seit dem vorigen Tage sprach, zeigte sie sich sehr geschäftseifrig. Sie betrachtete sie mit ihrem fröhlichen Lächeln, in dem ein wenig Überraschung, leise Ungläubigkeit, gleichsam der geheime Spott eines schönen, in ihren Körper närrisch verliebten Mädchens lag. Aber als gewandte Verkäuferin erschöpfte sie sich sogleich in liebenswürdigen Worten.
Wie glücklich werde ich sein, Ihnen etwas zu verkaufen! Ihr Wunder ist ja so außerordentlich schön. Sehen Sie, das ganze Geschäft steht zu Ihren Diensten. Wir haben die größte Auswahl.«
Marie war in Verlegenheit.
»Ich danke Ihnen, Sie sind sehr liebenswürdig, wir wollen nur Kleinigkeiten kaufen.«
»Wenn Sie gestatten«, sagte Herr von Guersaint, »werden wir unsere Wahl selbst treffen.«
»Bitte, mein Herr, wählen Sie, dann werden wir ja sehen.«
Da jetzt andere Kunden eintraten, vergaß sie Appoline, nahm ihren Beruf als hübsche Verkäuferin wieder auf, und zwar mit schmeichlerischen Worten, verführerischen Bewegungen, namentlich den Männern gegenüber, die sie nur mit allen Taschen voller Einkäufe fortgehen ließ.
Von dem Goldstück, das ihm Blanche, seine älteste Tochter, bei der Abfahrt als Taschengeld zugesteckt hatte, besaß Herr von Guersaint nur noch zwei Frank. Daher wagte er nicht, in seiner Wahl allzu weit zu gehen. Aber Pierre erklärte, man würde ihm wehe tun, wollte man ihm nicht gestatten, seinen Freunden die paar Gegenstände anzubieten, die sie aus Lourdes mitnehmen würden. Nun kam man darüber ein, daß man zuerst ein Geschenk für Blanche wählen wollte und daß dann Marie und ihr Vater jeder das Andenken sich aussuchen sollte, das ihnen am besten gefiele.
»Nur keine Überstürzung«, sagte Herr von Guersaint immer wieder. »Hörst du, Marie? Sieh dich nur recht um. Was würde Blanche wohl am meisten Vergnügen machen?«
Alle drei suchten nun, wühlten und stöberten in den Gegenständen herum. Aber ihre Unentschlossenheit nahm zu, je öfter sie von einem Gegenstande zum andern übergingen. Das große Geschäft mit seinen Ladentischen, seinen Schaufenstern, seinen Kästen, die es von oben bis unten schmückten, war wie ein Meer von zahllosen Fluten, eine Fülle aller möglichen religiösen Gegenstände. Da sah man Rosenkränze, ganze Pakete von Rosenkränzen, die an den Wänden hingen, Haufen von Rosenkränzen in den Schubladen, von den geringen Rosenkränzen zu zwanzig Sous das Dutzend, bis zu den Rosenkränzen aus wohlriechendem Holz, aus Achat, aus Lasursteinen, die mit Gold oder Silber eingefaßt waren. Einzelne, riesig große, die so lang waren, daß man sie doppelt um den Hals und die Hüfte tragen konnte, wiesen sorgfältig bearbeitete Perlen auf, die die Größe von Nüssen hatten und durch Totenköpfe voneinander getrennt waren. Dann gab es Medaillen, eine Regenflut von Medaillen, Medaillen in vollen Schachteln, von allen Größen, aus allen Metallen, die billigsten und die kostbarsten, mit verschiedenen Inschriften, Medaillen, die die Basilika, die Grotte, die Unbefleckte Empfängnis darstellten und die je nach den Börsen der Käufer graviert, ziseliert, emailliert, sorgfältig ausgearbeitet oder in gewöhnlicher Ausführung zu haben waren.
Ferner waren Statuen der Heiligen Jungfrau da, kleine und große, aus Zink, aus Holz, aus Elfenbein, besonders aber aus Gips, die einen ganz
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