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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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war sicher dazu bestimmt, zu verschwinden und von der neuen Stadt erdrückt und ermordet zu werden. Ach, diese elende, schmutzige Grotte! Er würde sich lieber die Füße abschneiden lassen, als einen Schritt in die Grotte tun! War es nicht empörend, daß sie neben der Grotte nun auch einen Nippsachenladen aufgemacht hatten? Eine wahre Schande, über die sich ein Bischof so empört gezeigt hatte, daß er deswegen an den Papst schrieb. Er sei Freidenker und Republikaner, der schon unter dem Kaiserreich für die Kandidaten der Oppositionspartei gestimmt hätte, er glaube nicht an ihre schmutzige Grotte und pfiffe darauf!
    »Sehen Sie, ich will Ihnen eine Tatsache erzählen. Mein Bruder ist Stadtrat, von ihm weiß ich die Geschichte. Zuerst muß ich Ihnen sagen, daß wir jetzt einen republikanischen Gemeinderat haben, der über die Entsittlichung der Stadt sehr betrübt ist. Abends kann man nicht mehr ausgehen, ohne auf der Straße Dirnen zu begegnen, die anscheinend mit Kerzen handeln. Sie geben sich mit den Kutschern ab, die die Saison uns zuführt, eine unsichere und verdächtige Gesellschaft, die wer weiß woher gekommen ist. Ich muß Ihnen auch die Stellung der Patres gegenüber der Stadt erklären. Als sie die Grundstücke bei der Grotte gekauft haben, unterzeichneten sie einen Vertrag, in dem ihnen ausdrücklich jeder Handel untersagt wurde. Nun, trotz ihrer Unterschrift haben sie dort einen Laden eröffnet. Nicht wahr, das ist eine unlautere, unwürdige Konkurrenz? Der neue Gemeinderat hat sich denn auch entschlossen, die Aufrechterhaltung des Vertrages von ihnen zu fordern und sie zu ersuchen, augenblicklich den Laden zu schließen. Wissen Sie, was sie geantwortet haben? Nun, was sie schon zwanzigmal geantwortet haben und was sie immer zur Antwort geben werden, wenn man sie an ihre Verpflichtungen erinnert: ›Es ist gut, wir sind geneigt, den Vertrag zu halten, aber wir sind die Herren in unserem Hause, und wir schließen die Grotte.‹«
    Er hatte sich erhoben und wiederholte mit weit aufgerissenen Augen:
    »Wir schließen die Grotte.«
    Pierre, der seinen langsamen Spaziergang fortsetzte, blieb plötzlich stehen und sagte ihm ins Gesicht:
    »Dann brauchte der Gemeinderat nur zu antworten: ›Schließt sie!‹«
    Cazaban wäre beinahe erstickt. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, er geriet außer sich und stotterte:
    »Die Grotte schließen, die Grotte schließen!«
    »Aber gewiß, da sie Sie ärgert und anekelt, diese Grotte! Da sie eine beständige Ursache zum Kriege, zur Ungerechtigkeit, zur Verderbtheit ist! Dann wäre alles zu Ende, man würde nichts mehr davon hören. Das wäre in der Tat eine ausgezeichnete Lösung, und wenn man etwas Macht besäße, so würde man Ihnen den Dienst erweisen, die Patres zur Ausführung ihrer Drohung zu zwingen.«
    Je länger Pierre sprach, desto mehr verlor Cazaban seinen Zorn. Er wurde ganz ruhig und ein wenig blaß. Im Grunde seiner großen Augen sah der Priester eine gewisse Unruhe aufsteigen. War er nicht in seiner Leidenschaft gegen die Patres zu weit gegangen? Viele Geistliche liebten sie nicht, vielleicht befand sich dieser junge Priester nur in Lourdes, um einen Kampf gegen sie zu führen. Wer konnte das wissen? Die Schließung der Grotte war dann immerhin möglich. Man lebte aber doch nur von ihr. Wenn die alte Stadt auch aus Wut darüber schrie, daß sie nur noch kleine Bissen erhaschte, so war sie über das, was ihr zufiel, doch immer noch glücklich, und selbst die Freidenker, die wie alle Welt den Pilgern ihr Geld abnahmen, schwiegen erschreckt und unangenehm berührt, sobald man wegen der häßlichen Seiten des neuen Lourdes allzusehr ihrer Meinung war. Es hieß eben klug sein.
    Cazaban wandte sich wieder an Herrn von Guersaint. Er fing an, die andere Seite zu rasieren und flüsterte dabei mit zerstreuter Miene:
    »Oh, was ich da von der Grotte sage, geschieht im Grunde genommen nicht, weil sie mir hinderlich ist. Außerdem muß doch auch alle Welt leben.«
    Im Speisesaal hatten die Kinder eben unter betäubendem Geschrei eine Tasse zerbrochen. Pierre bemerkte von neuem die frommen Kupferstiche und die Heilige Jungfrau aus Gips, mit denen der Friseur das Zimmer ausgestattet hatte, um seinen Mietern angenehm zu sein. Eine Stimme schrie aus dem ersten Stock, daß der Koffer geschlossen wäre und der Gehilfe möchte so freundlich sein, ihn zur Bahn zu schaffen, wenn er nach Hause käme.
    Cazaban blieb den beiden Herren gegenüber, die er im Grunde genommen gar

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