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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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weiß, die anderen mit lebhaften Farben bemalt. Sie alle gaben bis ins kleinste die von Bernadette gelieferte Beschreibung wieder, das liebenswürdige und lächelnde Antlitz, den sehr langen Schleier, die blaue Schärpe, die goldenen Rosen an den Füßen. Jedes Modell war aber wieder etwas anders, um durch die Verschiedenartigkeit das Eigentum des Verfertigers zu schützen. Und noch eine andere Flut religiöser Gegenstände war vorhanden, hundert verschiedenartige Skapuliere, Tausende von frommen Bildern, feine Kupferstiche, schlechte Lithographien, die ein Gewimmel kleiner, kolorierter, vergoldeter, lackierter, mit Blumensträußen geschmückter und mit Spitzen gezierter kleiner Bilder förmlich ertränkte. Es gab auch Ringe, Broschen, Armbänder, mit Sternen und Kreuzen geschmückt und mit heiligen Figuren versehen. Und dann herrschte noch der Pariser Artikel vor, der das übrige zurückdrängte: Bleistifthalter, Portemonnaies, Zigarrentaschen, Briefbeschwerer, Papiermesser, kurz, unzählige Gegenstände, auf denen fortwährend die Basilika, die Grotte, die Heilige Jungfrau wiederkehrten, die auf alle Arten, in allen bekannten Herstellungsweisen wiedergegeben waren. In einem Kasten von Fünfzig-Centimes-Artikeln stapelte sich ein Durcheinander von Serviettenringen, von Eierbechern und von Holzpfeifen auf, auf denen die Erscheinung Unserer Lieben Frau von Lourdes in strahlender Schönheit eingeschnitzt war.
    Nach und nach war Herr von Guersaint der Sache überdrüssig geworden, es hatte sich seiner eine gewisse Traurigkeit, die Reizbarkeit eines Mannes bemächtigt, der sich einbildete, ein Künstler zu sein.
    »Aber das ist ja gräßlich, das ist ja alles gräßlich«, wiederholte er bei jedem neuen Artikel, den er prüfend ansah.
    Er machte sich Luft, indem er Pierre an den mißlungenen Versuch erinnerte, den er unternommen hatte, um in den religiösen Bilderhandel einen Umschwung zu bringen. Die Trümmer seines Vermögens waren dabei verlorengegangen, was ihn angesichts der ärmlichen Gegenstände, mit denen das Geschäft überladen war, noch strenger machte. Hatte man je Sachen von so dummer, so verworrener und dabei so anspruchsvoller Häßlichkeit gesehen? Die Gemeinheit der Idee und die Albernheit des Ausdrucks fanden in der handwerksmäßigen Ausführung ein würdiges Seitenstück. Das alles hatte etwas von dem Modenbild, von dem Deckel der Bonbonbüchse, von den Wachspuppen an sich, die sich in den Friseurläden drehen. Es war eine gequält hübsche, gezwungen kindliche Kunst, ohne wirklich menschliches Empfinden, ohne Ausdruck, ohne jede Aufrichtigkeit. Der Architekt, der einmal im Zuge war, hielt nicht mehr inne, er sprach auch von seinem Ekel vor den Bauten des neuen Lourdes, von der beklagenswert häßlichen Herrichtung der Grotte, der Ungeheuerlichkeit der Treppen, der Mißverhältnisse der Rosenkranzkirche und der Basilika, von denen jene zu schwer war und einem Getreideschuppen ähnlich sah.
    »Man muß den lieben Gott wahrhaftig sehr lieben«, schloß er seine Worte, »um den Mut zu haben, ihn unter solchen Greueln anzubeten! Sie haben alles falsch gemacht, haben alles verpfuscht, wie zum Vergnügen, ohne daß ein einziger auch nur auf eine Minute die innere Bewegung, die wahre Naivität und den aufrichtigen Glauben besessen hätte, die allein Meisterwerke hervorbringen. Es waren alle nur Schlauköpfe, alle nur Kopisten, kein einziger war mit Leib und Seele dabei. Und was braucht man denn, um sie zu inspirieren, wenn sie selbst hier in dem Lande des Wunders nichts Großes hervorbringen können?«
    Pierre antwortete nicht, aber er war von diesen Betrachtungen betroffen und hatte nun endlich eine Erklärung für das Unbehagen, das er seit seiner Ankunft in Lourdes empfand. Dieses Unbehagen hatte seinen Grund in dem Widerspruch zwischen der ganz modernen Umgebung und dem Glauben der vergangenen Jahrhunderte, dessen Wiedererweckung man versuchte. Er beschwor die alten Kathedralen herauf, in denen dieser Glaube der Völker nachzitterte. Er sah wieder die alten Gegenstände des Kultus, die Heiligenbilder, die heiligen Gold- und Silbergefäße, die Heiligen aus Stein und Holz von wunderbarer Kraft und Schönheit des Ausdrucks. In jenen fernen Zeiten waren die Meister, denen man die Arbeiten verdankt, vom Glauben erfüllt. Sie gaben ihre Seele in der ganzen Naivität ihrer Empfindung, wie Herr von Guersaint sagte. Heute aber bauten die Architekten die Kirchen mit der gleichen ruhigen Fertigkeit, mit der sie

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