Lourdes
kommen Sie selbst.«
Mit ihren roten Lippen sagte sie endlich scherzend in einem Tone, der ihn im ungewissen darüber ließ, ob sie ihr Versprechen auch halten würde:
»Gewiß, Herr Abbé, ich werde kommen.«
Sie wurden unterbrochen, denn Herr von Guersaint war vorgetreten, um dem Priester die Hand zu schütteln. Sofort sprachen sie wieder von dem Ausflug nach Gavarnie, ein köstlicher Ausflug, reizende Stunden, die sie niemals vergessen würden. Dann belustigten sie sich auf Kosten ihrer beiden Gefährten, wenig bemittelter Geistlicher, braver Leute, deren Naivität sie riesig amüsiert hatte. Der Architekt erinnerte schließlich seinen neuen Freund daran, daß er versprochen hatte, eine Persönlichkeit aus Toulouse, einen zehnfachen Millionär, für seine Studien über die Lenkbarkeit des Luftschiffes zu interessieren.
»Ein erster Vorschuß von hunderttausend Frank würde genügen«, sagte er.
»Zählen Sie auf mich«, erklärte der Abbé des Hermoises, »Sie sollen nicht umsonst zur Heiligen Jungfrau gebetet haben.«
Pierre, der das Bild der Bernadette in der Hand behalten hatte, war plötzlich ganz betroffen über die außerordentliche Ähnlichkeit Appolines mit der Seherin. Das war dasselbe, etwas plumpe Gesicht, derselbe überstarke Mund, dieselben prächtigen Augen, und er erinnerte sich, daß Frau Majesté ihm bereits von dieser seltsamen Ähnlichkeit erzählt hatte. Er erinnerte sich jetzt um so lebhafter, als Appoline ganz dieselbe armselige Kindheit in Bartrès verlebt hatte, bevor ihre Tante sie zu sich nahm, damit sie ihr im Laden helfe. Bernadette! Appoline! welch seltsame Zusammenstellung, welch unerwartete Wiederverkörperung in dreißigjährigem Abstand! Und plötzlich erstand mit dieser so leichtfertig lachenden Appoline, die Verabredungen annahm und über die die liebenswürdigsten Gerüchte im Umlauf waren, das neue Lourdes vor seinen Augen: die Kutscher, die Kerzenhändlerinnen, die Zimmervermieterinnen, die den Gast am Bahnhof ansprachen, die hundert möblierten Häuser mit den kleinen diskreten Wohnungen, der Schwarm der freien Priester, der leidenschaftlichen Pflegerinnen und der einfachen Reisenden, die hierherkamen, um ihre Gelüste zu befriedigen. Dann stieg auch die Wut des von dem Millionenregen entfesselten Schachers vor ihm auf, er sah die ganze Stadt auf rastloser Jagd nach Gewinn, die Läden, die die Straßen in Basare umwandelten und sich gegenseitig verschlangen, die Gasthöfe, die gefräßig von den Pilgern lebten, bis zu den blauen Schwestern, die Tischgäste aufnahmen, bis zu den Patres von der Grotte, die aus ihrem Gott Kapital schlugen! Welch trauriges und erschreckendes Abenteuer! Die Vision der reinen Bernadette versetzte die Menge in Begeisterung, veranlaßte sie, sich mit Ungestüm der Illusion vom Glück hinzugeben. Sie führte einen Goldstrom herbei und von diesem Tage an verfaulte alles. Das Wehen des Aberglaubens, das Zusammenströmen der Menschen, das Herbeifließen des Geldes hatte genügt, um diesen bisher ehrenhaften Erdenwinkel auf ewig dem Verderben zu weihen. Wo einstmals die reine Lilie geblüht hatte, sproß jetzt in einem neuen Beet der Habgier und des Genusses die Rose der Sinnlichkeit. Aus Bethlehem war Sodom geworden, seitdem ein unschuldiges Kind die Jungfrau gesehen hatte.
»Nun, was habe ich Ihnen gesagt?« rief Frau Majesté, als sie bemerkte, daß Pierre ihre Nichte mit dem Bilde verglich. »Ist es nicht Bernadette, wie sie leibt und lebt?«
Das junge Mädchen trat mit ihrem liebenswürdigen Lächeln näher.
»Sieh, sieh«, sagte der Abbé des Hermoises mit lebhaftem Interesse. Er nahm die Photographie, verglich sie ebenfalls und geriet in Erstaunen. »Das ist sonderbar, dieselben Züge. Ich hatte das noch gar nicht bemerkt, ich bin wirklich entzückt.«
»Aber ich glaube doch«, erklärte schließlich Appoline, »sie hatte eine dickere Nase.«
Nun stieß der Abbé einen Ruf der Bewunderung aus.
»Sie sind hübscher, viel hübscher, das ist klar. Aber das tut nichts, man würde Sie doch für zwei Schwestern halten.«
Pierre konnte sich des Lachens nicht erwehren, so sonderbar fand er das Wort. Ach, die arme Bernadette war tot und hatte keine Schwester. Sie hätte nicht wieder auferstehen können, sie war nicht mehr möglich in diesem Ort des Wirrwarrs und der Leidenschaft, zu dem sie Lourdes gemacht hatte.
Endlich ging Marie am Arme ihres Vaters fort. Es wurde verabredet, daß beide sie aus dem Hospital abholen würden, um sich dann
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