Love Alice
wir keine dritte Decke haben, und ich gebe Cherry eines von meinen T-Shirts zum Schlafen. Obwohl ich sonst nackt schlafe, ziehe ich mir auch ein Shirt über. Auf den T-Shirts sind Tom und Jerry drauf. Cherry und ich entscheiden, dass sie Jerry ist und ich Tom, weil Jerry Tom immer ärgert und Tom so verschlafen ist.
»Aber eigentlich will Tom Jerry fressen«, sage ich.
Ich knipse die Nachttischlampe an und das große Licht aus und taste unter der Decke nach meinem Küken.
»Bist du müde?«, frage ich.
Cherry richtet sich auf.
»Eigentlich nicht«, sagt sie. Damit steht sie wieder auf und setzt sich an mein Bett.
»Wollen wir noch quatschen?«
Auch ich setze mich auf. Den Vogel schiebe ich dabei tiefer unter die Decke.
»Wir können doch Tuula und Nesrin spielen«, sage ich.
»Ich weiß nicht«, sagt Cherry.
Ich schubse sie vom Bett. »Hey, Andy, runter von der Bettkante«, sage ich leise.
Cherry zieht meine Decke mit sich auf den Boden und rollt sich kichernd ein. Ich springe auf Cherry und wir wälzen uns in den Decken. Cherry überwältigt mich, legt sich auf mich drauf und hält meine Arme fest. Sie spricht mit tiefer Stimme: »Na, gefällt dir das?«
Mir weicht das Grinsen aus dem Gesicht. Wir starren uns schweigend an, eine gefühlte Ewigkeit, dann küsst Cherry mich fest auf den Mund. Ich traue mich nicht, meine Lippen zu öffnen.
Sie lässt mich dabei los, aber ich will nicht weg. Ich schmiege mich an sie. Wir schweigen und atmen tief, als wollten wir hören, wessen Lunge es lauter kann. Cherry hält mich fest. Ich umarme sie so stark, wie ich es nur kann, streichle ihren Rücken, ihr Haar, ihr Gesicht. Ich versuche, nicht auf unseren Atem zu achten. Cherry vergräbt ihre Nase in meinem Nacken, ich küsse sie auf ihr Ohr. Auf einmal höre ich ganz deutlich eine Uhr ticken. Mein Rücken spannt sich an und eine Sekunde später ertönt Mamas volle Stimme hinter der Tür.
»Alice, Licht aus! Gute Nacht!«
Wir schrecken auf und rollen auseinander, gerade noch rechtzeitig, bevor Mama die Tür aufmacht. Wir, Cherry auf dem Boden, ich im Bett, liegen auf dem Rücken, die Beine angewinkelt wie zwei Maikäfer.
»Es ist schon spät«, sagt Mama und sieht uns zufrieden an.
Wir murmeln etwas von Gute Nacht. Als sie die Tür hinter sich schließt, mache ich das Licht aus. Mir wird klar, dass unser Schreck eines beweist – es ist irgendwie nicht ganz okay, was wir machen.
Ich schaue zu Cherry hinunter. Ihre Augen glänzen im Halbdunkeln. Durch das Licht der Laterne von draußen schimmert ihr Gesicht weiß wie Papier.
»Kommst du zu mir?«, frage ich.
Cherry steht auf und legt sich zu mir ins Bett. Als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Unsere Decken rascheln, und ich kann fühlen, wie ihre Hand auf der Suche nach meiner den Plüschvogel beiseiteschiebt. Wir halten uns an den Händen, als ich einschlafe.
In dieser Nacht träume ich einen schlimmen Traum. Er fängt an, ohne dass ich bemerke, dass es nur ein Traum ist, und er fühlt sich sehr echt an.
Ich bin in meinem Zimmer, aber es ist anders, dunkel und düster, alle Gegenstände werfen tiefblaue Schatten. Ich liege im Bett und werde davon wach, dass ich friere. Es klingelt an der Tür, ich höre, wie Mama jemanden reinlässt. Dann ist da eine Mädchenstimme und Mamas dumpfer, entsetzter Aufschrei. Ich sehe Mamas Gesicht, wie sie blass und erschrocken rückwärts in ihr Zimmer zurückweicht. Ich höre leises Gurren, wie auf einem Dachboden voller Tauben. Die Tür zu meinem Zimmer öffnet sich und Cherry kommt rein. Ich setze mich auf, lächle sie an. Cherry kommt näher. Sie trägt ein langes, dunkelgraues Kleid, das ich noch nie an ihr gesehen habe. Sie ist dünn und blass, ihr offenes, rotes Haar ist ungewohnt glatt. Ihre Lippen sind trocken und fast weiß.
»Ich freue mich so, dich zu sehen. Du siehst schön aus, auch mit deinen Haaren«, sage ich.
Cherry dreht sich im Kreis. Ihr Kleid fliegt dabei um ihre Knie. Sie sieht verstört und ausgemergelt aus. Dann setzt sie sich zu mir aufs Bett und sieht mich eindringlich an.
»Du darfst mich nichts fragen, Alice. Ich darf von drüben nichts erzählen. Frage mich nichts«, sagt sie, mit einer Stimme, dass mir die Glieder gefrieren.
»In der Schule ist es ziemlich langweilig. Morgen schreiben wir Mathe, mir ist schon ganz schlecht«, sage ich.
»Dort ist ein dunkles Zimmer und ich habe einen neuen Namen … Otrrrtadakussss«, sagt Cherry.
Sie flüstert und pfeift das seltsame Wort wie
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