Love and Disaster
und unterdrückte gerade noch den Reflex, ihm die Tür vor der Nase zuzuknallen.
„Bitte entschuldigen Sie, dass ich einfach so vorbeikomme, ich störe Sie auch nur ganz kurz.“
Seine Stimme klang angenehm dunkel, keine Spur mehr von der Aggressivität, die mir früher am Tag entgegengeschlagen war.
Da stand er nun und mir wurde - mal wieder - mein Aufzug bewusst. Gut, für die schmutzigen, kaputten Klamotten von vorhin konnte ich nichts, aber jetzt? Ich stand in der Tür wie eine schlampige Hausfrau, mit feuchtem Haar, in einem uralten Bademantel und mit ausgeleierten Wollsocken an den Füßen.
Er musterte mich von oben bis unten, schaffte es, keine Miene dabei zu verziehen, doch dann bemerke ich, dass sich ein winziges Lächeln in seine Augenwinkel stahl. Ehe ich irgendwie reagieren konnte, redete er schon weiter.
„Ich möchte mich bei Ihnen für mein Verhalten im Krankenhaus entschuldigen. Bitte verstehen Sie, Bernhard ist mein kleiner Bruder und ich trage die Verantwortung für ihn. Leider macht er mir diese Aufgabe mitunter ziemlich schwer. Ich habe meine Wut auf ihn an Ihnen ausgelassen, das hätte nicht sein dürfen.“
Er hielt mir den Strauß vor die Nase.
„Ich danke ihnen, dass Sie sich um Bernhard gekümmert haben. Bitte sehen Sie die Blumen als kleine Wiedergutmachung. Ich werde natürlich für alle Schäden aufkommen, die Ihnen entstanden sind.“
Ich kehrte postwendend das Fräulein Wohlerzogen heraus, was hieß, dass ich ein nettes Lächeln aufsetzte, ihm die Blumen abnahm und sie sie auf die alte Kommode legte, die neben der Tür stand.
„Vielen Dank“, sagte ich. „Wie geht es Benni? Man hat mir am Telefon leider keine Auskunft gegeben.“
Dresen lächelte jetzt.
„Es ist alles in Ordnung, er hat eine Menge Metall im Bein und muss die nächsten Wochen eine Schiene tragen. Er wird noch eine Weile an Krücken gehen, aber keine Schäden zurückbehalten.“
„Gott sei Dank.“ Jetzt fiel mir wirklich ein kiloschwerer Stein aus der Brust.
Da es den Anschein machte, dass er mich weder anschreien noch verprügeln würde, bat ich ihn herein und trat zur Seite, um die Tür freizumachen. Er zögerte kurz, als sei er unsicher, ob er das wirklich tun sollte, doch dann nickte er und kam hinter mir her.
Wenn ich etwas Gutes aus meiner Ehe mit Clemens zurückbehalten hatte, dann war das meine große, gemütliche Eigentumswohnung im Erdgeschoss einer umgebauten alten Fabrikantenvilla. Die Terrasse meines Wohnzimmers ging nach hinten hinaus in einen kleinen Garten, der bis an die Spree heranreichte und so manch einer beneidete mich um mein „Wassergrundstück“.
Dresen glaubte sicher, dass ich hier als Dienstmädchen arbeitete. Ich kicherte in mich hinein, führte ihn ins Wohnzimmer, ließ ihn Platz nehmen und entschuldigte mich kurz.
Schnell flitzte ich ins Schlafzimmer, entschied mich in Windeseile für eine helle Hose und einen türkisfarbenen Pulli und legte ein wenig Lippenstift auf. Die Haare? Ein Pferdeschwanz musste genügen, zu mehr war keine Zeit. Ein kurzer Blick in den Spiegel bestätigte mir, dass ich halbwegs passabel aussah, nur meine müden Augen schmälerten den Gesamteindruck etwas.
Robert Dresen stand auf, als ich ins Wohnzimmer zurückkam und ich konnte ihm die Überraschung über mein verändertes Äußeres anmerken.
Ich verkniff mir mein Grinsen lieber und fragte:
„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Möchten Sie Kaffee, Tee oder lieber etwas Alkoholisches?
„Ein einfaches Glas Wasser wäre gut.“
Ich ließ ihn wieder allein, lief in die Küche, stellte eine Flasche Wasser und zwei Gläser auf ein Tablett und versuchte, die letzte, schon ziemlich alte Zitrone aus meinem Kühlschrank so aufzuschneiden, dass man die runzligen Stellen nicht sah.
Bei meiner Rückkehr hatte Robert Dresen es sich in meinem großen Ohrensessel gemütlich gemacht. Die Beine weit von sich gestreckt saß er da, als gehöre er zum Inventar.
Er sah mich zum wiederholten Mal prüfend an und sagte:
„Ich überlege die ganze Zeit, ob ich Sie irgendwoher kenne.“
Ich stellte das Tablett ab und schüttelte schnell den Kopf. Offensichtlich erinnerte er sich an Mary, die die Ähnlichkeit zwischen uns war leider nicht zu übersehen. Aber ich würde ihn sicher nicht mit der Nase darauf stoßen. Ich merkte ihm an, dass es in seinem Kopf arbeitete.
„Ich bin Anwalt und habe mit so vielen Menschen zu tun, dass ich nach einer Weile vergesse, welcher Name zu welcher Person gehört, aber Gesichter kann ich
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