Love Train
Oder sollte ich mich einfach vor einem der vielen Porträts längst verstorbener Könige hinstellen? Denn welche Möglichkeit blieb mir sonst? Ich sah auf die Zeitanzeige an meinem Handy: Es war bereits kurz nach elf.
Schnell machte ich mich auf die Suche nach Juli, die ich irgendwo in den Prunkräumen verloren hatte, und fand sie mit verklärtem Blick vor dem Brautkleid von Herzogin Kate, das hier ebenfalls ausgestellt wurde.
»Ist es nicht ein Traum?«, säuselte sie.
»Hm«, machte ich unspezifisch. Aber Juli hatte recht, es war ein Traum von einem Kleid. Spitze über und über und dann diese meterlange Schleppe. Hach! Wenn ich irgendwann einmal heiraten sollte, wollte ich bitte auch so ein Kleid. Aber jetzt durfte ich mich nicht ablenken lassen!
»Juli, was ist nun mit diesem Foto?«, fragte ich drängend. »Hast du schon irgendwo einen Royal entdeckt?«
Juli sah sich tatsächlich um, als würde sie mal eben nach einem Mitglied des Königshauses suchen, dann zuckte sie mit den Schultern und erklärte bedauernd: »Nee, keiner da.«
Ich beschloss, nicht schon wieder auf sie sauer zu sein, sondern erzählte ihr, was mir zum Thema Foto noch eingefallen war. Statt für den Thronsessel entschieden wir uns, ein Bild von mir und dem Kleid zu machen, an dem möglicherweise noch eines von Kates Haaren hing, was dann immerhin ein Stückchen von einem Mitglied der königlichen Familie wäre. Na ja, dachte ich, besser als nichts.
Wir waren schon auf dem Weg nach drauÃen, als mir einfiel, dass dies hier eigentlich der perfekte Ort war, um wieder einen meiner Tagebuchtexte zu verstecken. Schnell kramte ich einen kleinen karierten Zettel aus meiner Hosentasche und näherte mich dem Kleid, um ihn in dessen Nähe zu deponieren.
Ich lehnte mich weit über die Absperrung, die um das weiÃe Prachtstück errichtet worden war, als mich eine strenge Stimme in der Bewegung erstarren lieÃ. »Do not touch the dress, please.« Nicht anfassen! Ja, schon gut, das hatte ich doch gar nicht vorgehabt. Ich lieà das Papier mit dem Zitat einfach fallen und wandte mich der Stimme zu. Es war der junge Topfhaarschnitt-Typ, der uns eben die Eintrittskarten verkauft hatte. Offensichtlich war er abgelöst worden und hatte jetzt die Rolle des Wächters des königlichen Brautkleides übernommen.
»I didnât â¦Â«, fing ich an, mich zu verteidigen, doch Juli kam mir zuvor. Mit charmantem Lächeln wandte sie sich an Mr Topf-Kopf und fragte: »Do you know where we can meet the Queen?« Wo können wir die Königin treffen?
Genau wie das Mädel im Hostel lachte der Typ nicht über Julis Frage. Die Briten hatten entweder einen sehr schrägen Sinn für Humor oder schon viele sehr merkwürdige Erfahrungen mit komischen Touristen gemacht. Stattdessen lächelte er höflich und erklärte: »Die Queen befindet sich zurzeit auf ihrer Sommerresidenz Schloss Balmoral. Deshalb sind momentan diese Räume für die Ãffentlichkeit zugänglich.«
»Aber«, fiel ich ihm ins Wort, »die Flagge weht doch auf dem Palast.«
»Ja«, erklärte er uns sehr höflich. »Das ist richtig. Allerdings handelt es sich um den Union Jack, nicht um die königliche Flagge von Queen Elizabeth II. Die Nationalflagge weht immer auf dem Dach des Palastes, aber wenn die Königin sich im Buckingham Palace aufhält, wird auch die königliche Flagge gehisst.«
»Aha.« Wir sollten wohl beeindruckt sein von dieser ausführlichen Erklärung, aber ich fand sie vor allem enttäuschend. Ich hatte also von Anfang an keine Chance auf ein Foto mit der Queen gehabt. Juli gab sich nicht so schnell geschlagen.
»Das heiÃt, niemand von der königlichen Familie ist zurzeit im Palast?«, hakte sie nach und zeigte dabei immer noch ihr charmantestes Lächeln.
»Nein.« Der Topfhaarschnitt flog von links nach rechts und wieder zurück, als der Typ vehement den Kopf schüttelte. »Aber warum interessiert ihr euch so dafür?« Offenbar hatte meine Schwester ihn neugierig gemacht. Und Juli erzählte ihm bereitwillig von unserem Fotoproblem.
»Habe ich das richtig verstanden?«, fragte er am Ende. »Es geht um ein Foto mit einem Mitglied des Königshauses?«
Juli und ich nickten gleichzeitig.
»Welches Mitglied, ist egal?«
Wir nickten wieder.
»SchieÃt ein Foto mit mir.« Jetzt
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