Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
Julia das konnte. »Du Kontrollfreak.«
Ich taumelte zurück, getroffen von der Wut in ihrer Stimme, und Julia seufzte und schlang ihre Arme um mich und sagte: »Mensch, Amy, warum kann man mit dir nie Spaß haben? Sei doch mal locker. Leb endlich!«
Dann wirbelte sie davon und verschwand im Gedränge. Sie schaute nicht zurück.
Ich trank meinen Wodka, trank mir Mut an, um ihr nachzugehen. Die Welt verschwamm vor meinen Augen, so wie ich es mochte, aber ich war nicht entspannt oder locker. Ich fühlte mich groß und dumm, fehl am Platz. Alle um mich herum hatten Spaß, nur ich nicht.
Dabei wollte ich es doch, ich wollte mich amüsieren, aber im tiefsten Inneren wusste ich, dass ich es nicht konnte. Nicht so wie Julia. Ich konnte einfach nicht loslassen. Ich hasste mich dafür, aber ich kam nicht dagegen an. Und jetzt war Julia auch noch sauer auf mich. Wie sollte ich da Spaß haben? Also verließ ich die Party und ging nach draußen, um in Julias Auto zu warten.
Als ich die Außentreppe runterging, stolperte ich über einen Typ, der dort saß, mit einem fast vollen Bierglas neben sich. Er starrte in die Ferne, die Arme um seine Beine geschlungen. Und er sah so unglücklich aus, wie ich mich fühlte.
»’tschuldigung«, sagte ich automatisch.
»Nein, nein – war meine Schuld«, sagte der Typ und dann: »Alles okay?«
»Ja, klar«, sagte ich, wieder ganz automatisch, und er darauf: »Okay«, dann stand er auf. Dabei berührte seine Hand die meine und ein seltsames Gefühl durchrieselte mich.
Wenn Julia von Kevin schwärmte und mir erzählte, wie es jedes Mal funkte, wenn er sie anfasste, verdrehte ich nur die Augen, aber in Wahrheit wusste ich nach dieser Nacht genau, was sie meinte. Ich habe es ihr nur nie erzählt.
Der Typ muss diesen Funken auch gespürt haben, denn er sagte leise: »Oh.« Fast erschrocken.
Wir landeten schließlich im Hobbykeller unten, hebelten eine Glasschiebetür auf und gingen hinein. Es war dunkel und ungemütlich da unten, eine einzige kahle Glühbirne warf einen winzigen Lichtkegel auf das abgewetzte Sofa, auf das wir uns setzten. Wir redeten nicht viel. Er hieß Patrick. Ich sagte: »Ich bin Amy«, und war auf den üblichen Schrott gefasst, von wegen dass er mich schon irgendwo gesehen hatte oder so. Stattdessen schaute er auf den Boden und sagte: »Du bist doch immer mit diesem Mädchen zusammen, mit dieser Julia, stimmt’s?«
»Ja.«
»Dachte ich mir. Ich geh nicht auf viele Partys.«
»Ja? Ich schon. Ich bin oft auf Partys.«
Er nickte und sah mich an. Mit einem Blick, der beinaheerschreckend war. Es war seltsam, aber … Ich weiß nicht. Auf jeden Fall brachte es mich dazu, ihn richtig anzuschauen, ihn als Mensch zu sehen und nicht nur als irgendeinen x-beliebigen Typ.
»Seltsam hier, findest du nicht?«, sagte Patrick und deutete auf das unfertige Zimmer, das aus kahlen Wänden und frei liegenden Balken bestand. Selbst die Spinnweben, die in jedem Winkel an der Decke hingen, waren staubig, als seien sie seit einer Ewigkeit dort. Patrick ließ einen seiner Finger über meinen Arm gleiten und wieder spürte ich den Funken. Es war, als hätte ein Teil von mir bis zu diesem Moment geschlafen. Als hätte ich im tiefsten Inneren auf etwas gewartet, wovon ich noch gar nichts wusste.
»Ja, aber man kann sich hier sicher fühlen«, sagte ich, so ehrlich, wie ich sonst nie mit Typen rede, beflügelt von dem Funken, und die Angst in seinen Augen verwandelte sich in etwas anderes, etwas wie Verstehen. Hätte er versucht, mich zu küssen, dann wäre nichts Wichtiges passiert. Wir hätten Sex gehabt und fertig. Aber er küsste mich nicht. Er beugte sich nur herüber und strich mit einer Hand meine Haare zurück, steckte sie hinter meine Ohren. Bei Julia haben die Jungs das immer gemacht, weil ihre Haare lang und golden waren, wunderschön. Meins ist kurz geschnitten und hat die Farbe von roten Herbstblättern, kurz bevor sie verfaulen.
»Warum hast du das getan?«, fragte ich.
»Weil ich es wollte«, sagte er und sah selber so verdutzt aus, dass ich ihn küsste.
Er war nicht der Erste, den ich geküsst hatte, und auch nicht der Letzte. Es war immer dasselbe. Nämlich nichts. Aber dieser Kuss ist mir in Erinnerung geblieben; ich weiß noch, wie gut es sich anfühlte, sein Mund, so erschreckend unverfälscht und verletzlich, ohne die Schichten von Zigarettenqualm und Alkohol, an die ich gewöhnt war.
Patrick berührte mich, wie ich erwartet hatte, und das war in Ordnung, das
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