Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
fürs Schließfach, Sprint zum Schließfach, gerade noch rechtzeitig in den Unterricht kommen – na, Du kennst das ja. Und dann natürlich das Mittagessen. In den letzten paar Tagen habe ich Corn Syrup mehrmals dabei ertappt, wie sie zu mir herschaute. Für jemanden, der sich in Beths Glanz sonnen darf, sieht sie verdammt unglücklich aus. Vielleicht ist Beth gerade sauer mit ihr, weil sie Haarspliss hat oder so.
Nach der Schule fahre ich nach Hause, entweder mit Dad oder mit Mom. Weil das England-Projekt bisher so gut läuft, kann Dad jetzt jede zweite Woche nachmittags zu Hause arbeiten.
Diese Woche ist er zu Hause, also holt er mich ab.
Dinge, über die Dad gern redet:
– Tennis
– Wie es in der Schule war
– Tennis
Allmählich glaube ich, dass meine Eltern deshalb so aufeinander fixiert sind, weil sie genau wissen, dass sie viel zu langweilig sind, um von anderen Leuten beachtet zu werden.
Zu Hause geht es weiter mit meinem Abenteuerprogramm, das heißt, ich mache meine Hausaufgaben. Meine Noten sind bis jetzt ganz gut, aber ich weiß nicht, ob mir dieser ganze Lernkram was bringt. Zum Beispiel Englisch: Wir lesen gerade ›Der Scharlachrote Buchstabe‹ und die anderen in der Klasse reden alle nur über diese Hester Sowieso und den großen roten Buchstaben A, den sie an der Brust tragen musste (A für Adulturess – Ehebrecherin).
Ich dagegen frage mich, wie Pearl (ihre Tochter) einmal sein wird, wenn sie erwachsen ist.
Ach, und stell dir vor, Mom und Dad haben meinen Computer konfisziert. Damit ich mich »aufs Lernen konzentrieren« kann. Dabei war ich doch in Pinewood, und nicht sie, und musste mir Vorträge anhören über die »Gefahr, in alte Gewohnheiten und Gruppenzwänge zurückzufallen« und so weiter. Jedenfalls bedeutet das, dass ich meine Referate jetzt im Arbeitszimmer tippen und recherchieren muss, natürlich immer in Sichtweite von Mom und Dad, wer eben gerade zu Hause ist. Ich hätte ihnen fast gesagt, dass du sowieso die Einzige warst, mit der ich am Computer telefoniert habe, aber der PC im Arbeitszimmer ist besser als meiner. Meiner hört sich immer an, als würde er von einem Hamster betrieben, der wie ein Blöder in seinem Laufrad herumrennt.
Nach dem Arbeitszimmer ist Abendessen dran. Mom und Dad kochen natürlich zusammen, aber glaub nicht, dass ich dann mal Pause hätte, aber nein. Ich »helfe« beim Umrühren. Neulich kam es zu einem peinlichen Zwischenfall, als ich auf den Reistopf aufpassen sollte. Ich aß ein paar Babykarotten, während ich rührte, bis mir fast der Arm abfiel, und Mom sagte: »Komisch, als du noch klein warst, wolltest du nie Karotten essen.«
Darauf ich: »Ja, aber das hat sich geändert, als ich Zähne bekommen habe, oder?« Mom starrte mich einen Augenblick fassungslos an, dann wurde sie sauer. Aber ehrlich, was kann ich dafür, wenn sie bis jetzt nicht mitgekriegt hat, was ich esse? Jedenfalls knallte sie den Käse, den sie gerade rieb, auf die Küchentheke und sagte: »Ich wollte nur mit dir reden. Das ist noch lange kein Grund, dass du …«
»Dass ich was? Ausspreche, was Sache ist? Du hast ja nicht mal gewusst, dass ich Vegetarierin bin!«
Moms Gesicht zerbröckelte. Sie nahm den Käse in die Hand, starrte darauf und blinzelte heftig. Dad berührte ihren Arm und sagte »Grace«, ganz sanft, dann wechselte er einen Blick mit ihr, bevor er sich zu mir umdrehte und fragte: »Na, Amy? Was macht der Reis?«
»Bisschen brenzlig«, sagte ich.
Dad lächelte und Mom dann auch, aber sie war ziemlich erschüttert, das konnte ich sehen, weil ihr plötzlich klar geworden war, dass sie nicht nur ihre einzige Tochter vernachlässigt und nichts von ihren Alkoholproblemen bemerkt hatte, sondern noch nicht mal wusste, dassich Karotten aß. Und dass ich wusste, wie wenig sie von mir wusste.
Ich muss zugeben, dass mir das gefällt.
Weil sie jetzt nicht mehr die Augen davor verschließen kann. Und weil ich jeden Tag viel Zeit mit ihnen verbringe. Lach nicht, Julia, ich weiß, wie das klingt. Aber endlich bin ich nicht mehr nur das Anhängsel von MomundDad, und das ist irgendwie schön.
Endlich müssen sie der Tatsache ins Auge blicken, dass ich da bin.
8
Heute in Englisch (109 Tage ohne Julia – ich kann die Zeit nur danach berechnen, wie lange sie schon fort ist) war ich wieder in einer Gruppe mit Mel, Caro und Patrick. Wir diskutieren immer noch über den scharlachroten Buchstaben und ich habe Corn Syrup beobachtet, wie sie eine
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