Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
getan, weil es mir recht geschieht, dass ich weiterleben und immer dran denken muss, was ich Dir angetan habe. Ich habe es verdient, allein zu sein. Alles hab ich verdient – das Zittern, die Kopfschmerzen und dass ich bei jedem Atemzug diesen schrecklichen Druck in meiner Brust spüre, dass mein Herz weiterschlägt, obwohl ich mir wünsche, es würde stehen bleiben.
Ich habe das Leben verdient, das ich jetzt führe. Ein Leben, in dem nichts passiert. Zu wissen, wie es vorher war, und dass das alles vorbei ist. Dass ich es zerstört habe. Nein, ich werde nicht trinken, nur damit ich es für eine Weile wegwischen kann.
Heute Abend, als Mom und Dad ausgeredet hatten, musste ich mich zwischen sie aufs Sofa setzen. Dad hantierte mit der Fernbedienung und tätschelte mir das Knie. Mom legte einen Arm um meine Schulter und drückte sie hin und wieder sanft. Wir schauten einen Film an, der übliche Quatsch, wo es anfangs eine Menge bescheuerte Missverständnisse gibt und am Ende alles gut wird. Ich hörte es an der fröhlichen Musik. Es waren endlos lange siebenundachtzig Minuten.
»Du hast es geschafft«, sagte Mom, als der Abspann über den Bildschirm lief, und Dad: »Amy, wir sind so stolz auf dich.« Es machte mich glücklich, dass sie das sagten, und das hab ich doch nicht verdient. Es ist so absurd. Wenn ich mir vorstelle, wie ich mich angestrengt habe, all die Jahre, als ich noch jünger war und gute Noten geschrieben habe. Was ich alles getan habe, nur um mich in ihre Welt hineinzuquetschen, und jetzt das.So einfach ist es: Ich musste nur aufhören, mir Mühe zu geben, musste nur zu der Trinkerin werden, die ihre beste Freundin ins Auto zerrte und …
Ich ertrage es nicht, dass Du fort bist. Und es tut mir so leid, Julia. Wenn du wüsstest, wie leid es mir tut, was passiert ist. Was ich getan habe.
Ich weiß, das sind nur Worte. Aber ich meine es ernst, ich schwör’s Dir. Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Alles.
7
Ich habe Julia von heute Nacht erzählt, aber … aber nicht das von der Schule. Ich hab’s versucht, auf das Papier gestarrt, den Kugelschreiber in der Hand, aber die Worte wollten einfach nicht kommen. Ich will nicht …
Ich will nicht, dass sie weiß, was ich heute gesehen habe.
Nach der Schule stand ich an meinem Schließfach und packte meine Sachen zusammen. Alle redeten, machten Pläne fürs Wochenende und unterhielten sich über das, was für alle am meisten zählt – wer was mit wem macht und warum.
Ich sperrte mein Schließfach zu und plötzlich stand Kevin da. Rich, sein Blödarsch-Freund und der letzte Typ, mit dem ich geschlafen habe – Nummer fünf, der größte Reinfall von allen, weil er sich hinterher allen Ernstes als mein Freund aufspielen wollte, bis ich ihn zum Teufel geschickt habe – stand ein paar Meter weiter weg und tat so, als sei ich Luft für ihn. Was mich nicht weiter wunderte, ich fand es nur komisch, dass sie überhaupt in meine Nähe kamen.
»Hi«, sagte Kevin.
Er sagte tatsächlich »Hi«. Als sei das ein ganz normaler Freitag und nicht neunundneunzig Tage, seit Julia denFlur entlanggegangen war und gesagt hatte: »Gott, bin ich froh, dass wir diesen Albtraum hier bis nächsten September hinter uns haben.« Als sei es nicht neunundneunzig Tage her, dass Julia gestorben ist.
Ich starrte ihn an.
»Hier, ich zeig dir was«, sagte Kevin und streifte seinen Ärmel hoch, sodass die Tätowierung zum Vorschein kam, die sich um sein Handgelenk zog. Julias Name, in Tinte geschrieben und für die Ewigkeit.
»Das würde ihr gefallen«, sagte er und legte eine Hand auf meinen Arm. Wie konnte er da so sicher sein?
Ich hätte am liebsten sein Gesicht gepackt und mit beiden Händen daran gezogen. Ich wollte ihm die Haut abreißen, in Fetzen reißen und ihn halb tot liegen lassen. Julias Name an seinem Handgelenk, als könnte er dadurch ungeschehen machen, was passiert ist, als könnte es überhaupt jemals wieder gut werden: Julias verweinte Augen, ihr Schluchzen, als wir in dem fremden Haus standen, und Kevin mit steinerner Miene, ohne auch nur ihren Namen zu rufen, als wir fortgingen.
Ich weiß, was ich ihr angetan habe, und ich … ich weiß, dass ich kein Recht habe, ihm Vorwürfe zu machen. Aber ich hasse ihn. Mein Gott, wie ich ihn hasse!
»Ich hab sie wirklich geliebt, verstehst du?«, sagte Kevin, als hätte ich einen Kommentar zu seinem Tattoo abgegeben, als hätte ich auch nur einen Ton gesagt. »Ich hab sie so sehr geliebt. Und jetzt
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