Love you, hate you, miss you: Roman (German Edition)
wollte. Endlich sahen sie mich wirklich an, aber um welchen Preis … Ich wandte mich ab und ging die Treppe hinauf.
Das Problem ist – und Du weißt, was ich meine –, dass meine Eltern nie dazu geschaffen waren, Eltern zu sein. Versteh das jetzt nicht falsch, Julia – wenn man sowas sagt, denkt jeder sofort an solche Monstereltern, die ihre Kinder halb tot prügeln oder in dunkle Kellerlöcher sperren, Leute, die besser gar nicht erst Kinder in die Welt setzen sollten. Und so sind meine Eltern natürlich nicht.
Nein, Mom und Dad hatten einfach keine Kinder eingeplant. Ich weiß, das ist kein Weltuntergang. Was ist schon dabei, dass sie keine Kinder wollten? Ich bin nicht die Erste, die kein Wunschkind ist.
Und ich weiß auch, dass ich Glück gehabt habe. Ich lebe in einem schönen Haus in einem guten Viertel. Ich habe Eltern, die noch verheiratet sind. Die sich noch lieben. Ich wurde nie geschlagen, nie beschimpft oder gedemütigt. Sie haben mich noch nicht mal angebrüllt – kein einziges Mal.
Aber genau das ist der Punkt: Ich war es ihnen nicht wert, auch nur die Stimme zu erheben. Ich weiß, es ist krank, dass ich mich beklage, weil meine Eltern mich nie anschreien. Arme Amy, was für ein schweres Schicksal, dass ich tun und lassen kann, was ich will. Du hast mir immer gesagt, dass ich ein Glückspilz bin, dass meine Eltern cool seien. Du mochtest sie. Dir hat es gefallen, wie sie immer »Oh, hallo, Julia« gesagt haben, wenn Du mich abgeholt hast, ohne je nachzufragen, wo wir hinwollten und wann wir zurückkommen würden. Du hast gesagt, das sei viel besser als Deine Mom, die sich immer in alles einmischte – Deine Kleider, Deine Haare und Deine Freunde – und Dich mit ihren Fragen zur Verzweiflung brachte.
Ich habe Dich beneidet.
Oh ja, ich weiß – Mom und Dad haben mir viel Freiraum gelassen. Sie haben Geburtstagspartys für mich gemacht, als ich noch in dem Alter war, in dem ich das wollte, und sie sind zu meinen Schulaufführungen gekommen und manchmal durfte ich sogar mit in die Ferien. Ich habe immer Taschengeld und tolle Geschenke zum Geburtstag und zu Weihnachten bekommen. Sie haben mich in den Arm genommen, wenn ich sie darum bat, und ich bekam jeden Abend einen Gutenachtkuss auf die Wange. Aber das war’s dann auch. Ich war da. Und sie wussten es. Ende der Geschichte. Sie waren so von ihrer Liebe zueinander erfüllt, dass sie nichts anderes brauchten. Nichts und niemanden.
Und als ich es aufgab, ihnen gefallen zu wollen, immer die Beste in allem zu sein, als ich nicht mehr lauter Einser schrieb und den ganzen außerschulischen Kram hinwarf, sagten sie, dass sie das verstehen könnten. Und natürlich durfte ich ins Dachzimmer hinaufziehen, als ich sie fragte. Sie sagten, »Tschüss, amüsiert euch gut«, wenn ich ihnen zurief, dass wir noch wegwollten. Und »Mach dir nichts draus, nicht jeder ist fürs College geeignet«, als meine Noten nur noch Durchschnitt oder sogar schlechter waren. Ich sei in einem schwierigen Alter, sagten sie, alle Teenager haben Probleme.
Aber sie fragten mich nie, wie es mir dabei ging.
12
Ich nehme alles zurück, was ich Julia vorhin über meine Eltern erzählt habe. Ich wusste gar nicht, wie gut ich es hatte, damals, als sie mich noch in Ruhe ließen. Als Julia noch da war.
Nach dem Abendessen kamen sie zu mir ins Zimmer – ich war nicht zum Essen runtergekommen, erstens, weil ich nicht mit ihnen reden wollte, und zweitens, weil ich über den Tag mit Caro nachdenken musste – und setzten sich auf mein Bett.
Sie sagten (natürlich beide gleichzeitig, wie üblich): »Wir möchten gern mit dir über Julia sprechen.«
Ich ignorierte sie und starrte auf meine Bettdecke.
»Wir gehen nicht weg«, sagte Dad, und so wie er es sagte, konnte ich mir schon denken, was jetzt kommen würde. »Deine Mutter und ich haben das Gefühl, dass dein Verhalten gestern – und nicht nur das, sondern dein ganzes Benehmen in letzter Zeit – mit Julia zu tun hat, mit dem, was ihr passiert ist. Und wir möchten, dass du uns von der Nacht erzählst, als sie …«
»Ihr wart doch im Krankenhaus, oder nicht? Ihr habt mich hereinkommen sehen. Ihr habt vielleicht sogar gesehen, wie ihre … ihre Leiche hereingebracht wurde, und ich weiß nicht, was es da noch zu sagen gibt.«
»Wir möchten, dass du mit uns redest«, sagte Mom. »Erzähl uns ganz genau, was passiert ist. Wie es dir dabei ging. Wir … hör mal, Amy, Schätzchen, du weißt doch, dass du
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