Lovers (German Edition)
springt hinters Lenkrad, lässt den Motor an und beschallt uns mit lauter Musik. Irgendein dröhnender Metalsong schwemmt über uns hinweg, als sie den Wagen auf die Straße lenkt.
Sie dreht die Lautstärke runter. “Mein Haus ist ungefähr fünfzehn Minuten entfernt. Dauert also nicht zu lange. Es freut mich wirklich, dass du gekommen bist, Tina.”
“Vielen Dank, dass du mich dabei sein lässt.”
“Kein Grund, so förmlich zu sein, Schätzchen. Ich bin hier dieselbe wie im Netz.” Viviane tätschelt mein Knie. “Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Unsere Gruppe ist ganz ungezwungen. Wir verbringen fast den ganzen Sommer zusammen, und ehe du dich versiehst, sind sie für dich wie eine Familie. Und du hast mit uns schon so lange im Netz gesprochen. Niemand unterscheidet sich im realen Leben so sehr von seinem virtuellen Ich. Obwohl du auf mich etwas schüchterner wirkst.”
“Ich glaube, das bin ich auch. Das ist wohl der Fluch meines Lebens”, gebe ich zu. Mit Viviane zu reden, fällt mir erstaunlich leicht. Es ist vermutlich unmöglich, nicht gut mir ihr auszukommen.
“Das hast du auch gesagt, als wir telefoniert haben. Aber ich glaube wirklich, dieser Aufenthalt wird dir guttun.”
“Das hoffe ich. Zuletzt fühlte ich mich so … gefangen. Und nicht nur in Bezug auf mein Schreiben.”
Vor den Fenstern ziehen in unregelmäßigen Abständen idyllische alte Häuser vorbei, dazwischen breiten sich Wiesen, Eukalyptusbäume und einige knorrige Eichen aus, die zwischen den Felsen wachsen. Über die Hügel wandern Kühe und starren auf die Straße. Es sieht aus, als beobachten sie uns. Sie sehen zu, wie die Welt an ihnen vorbeizieht. Vielleicht habe ich das auch all die Jahre getan.
“Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie du es schaffst, diese beängstigenden Frauenromane zu schreiben”, erklärt Viviane. “Ich könnte mir nie etwas ausdenken, das dramatisch genug wäre. Vor allem dann nicht, wenn es zum Schluss keine Abrechnung gibt.”
“Und ich weiß nicht, wie dir diese Liebesromane gelingen. Selbst bei den etwas düsteren Werken ist es mir ein Rätsel. Ich bin nicht mal sicher, ob ich überhaupt genug an die Liebe glaube. Darüber schreiben könnte ich jedenfalls nie.”
Vivianes Gesichtsausdruck wird kurz etwas weicher. Ich kann es sogar an ihrem Profil erkennen. Hinter ihrem Kopf fliegt die Landschaft in einem Gewirr aus Blau und Grün vorbei. “Aber ich glaube an die Liebe. Das habe ich immer und werde es auch immer tun.”
“Du vermisst ihn immer noch”, sage ich leise. Sofort wünsche ich, den Mund gehalten zu haben.
“Malcolm? Natürlich vermisse ich ihn. Seit ich ihn verloren habe, sind dreizehn Jahre vergangen. Aber wenn du jemanden liebst, vergeht das nicht irgendwann einfach.”
“Na ja, kann schon sein. Wenn man einmal jemanden geliebt hat …”
Viviane dreht sich zu mir um und hebt eine dunkle Braue. “Du warst wirklich noch nie verliebt, Bettina?”
“Nein. Niemals. Ich hatte ein paarmal einen festen Freund, aber keiner von denen konnte richtige Leidenschaft bei mir entfachen. Sie waren alle irgendwie … okay.” Ich zucke die Schultern. “Nicht mehr, nicht weniger.”
“Also, wenn es irgendwann passiert, wirst du auch daran glauben. Dann kannst du gar nicht mehr anders. Die Liebe ist eine Himmelsmacht.”
Ich lächle sie an. “So steht es auch in deinen Büchern.”
“Hast du alle meine Bücher gelesen?”
“Ich habe versucht, wenigstens ein paar von jedem in der Gruppe zu lesen. Patrices historische Krimis, Kenneth’ Kriegsepen … Oh, und ich liebe Audreys Urban Fantasy. Ich habe sogar ein paar von Leos Horrorcomics gelesen.”
“Und was ist mit Jacks Thrillern?”
“Ich finde sie brillant. Er ist brillant. Aber seine Arbeit wirkt auf mich verstörend. Ich weiß, wir alle schreiben eher über düstere Themen – das hat uns schließlich zusammengebracht –, aber tief im Herzen bin ich ein Feigling, fürchte ich.”
“Nein, ich ertrage seine Bücher auch kaum. Seine Arbeit ist psychologisch so ausgefeilt, dass sie meinen Verstand völlig durcheinanderbringt. Seine Sachen bescheren mir schlimmere Albträume als Leos blutrünstige Comics. Ah, das ist meine Abzweigung.”
Die “Abzweigung” ist vielmehr ein langer Feldweg, auf den noch mehr Eukalyptusbäume ihre Schatten werfen. Grüne Felder machen einem felsigeren Terrain Platz, als wir uns dem Strand nähern, und ich lasse das Seitenfenster runter, um den Salzgeruch des Ozeans
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