Lovesong
ehrlich, es könnte schlimmer sein. Ich fange an, zu spielen, die Finger werden lockerer, und dann springe ich von meinem Hocker auf und hämmere und heble an der Gitarre rum, dresche auf sie ein, bis sie kreischt und heult, so wie ich mir das vorstelle. Na ja, zumindest fast so, wie ich es beabsichtigt habe. In diesem Raum befinden sich wahrscheinlich Gitarren im Wert von hunderttausend Dollar, aber keine von denen klingt so gut wie meine gute alte Les Paul Junior – die Gitarre, mit der ich eine Ewigkeit gespielt habe, mit der ich unser erstes Album aufgenommen habe, die Gitarre, die ich in einem Anflug von völliger Verneblung oder Überheblichkeit oder was auch immer für eine Wohltätigkeitsauktion gespendet habe. Keins von den funkelnden, sündteuren Nachfolgemodellen klang jemals wieder so gut oder lag so gut in der Hand wie sie. Aber wenn ich ganz laut aufdrehe, dann vergesse ich das sogar manchmal für ein paar Sekunden.
Wir sind schnell fertig, und Stim und die Tontechniker schütteln mir die Hand und wünschen mir viel Glück für die Tour, während Aldous mich behutsam zur Tür rausbugsiert und in eine Limousine setzt, die uns blitzschnell die Ninth Avenue runter nach SoHo bringt, in irgendein Hotelrestaurant, das die PR -Leute vom Label für das Interview ausgesucht haben. Kommt mir fast so vor, als würden die denken, dass ich nicht so leicht was ausplaudere oder irgendwas Unpassendes sage, wenn ich mich in einer luxuriösen Umgebung befinde, noch dazu in der Öffentlichkeit. Ich erinnere mich an die guten alten Zeiten, als die Interviewer noch für Fanzines oder Blogs schrieben und eigentlich nichts weiter als Fans waren, die sich in erster Linie über unsere Musik unterhalten wollten – und zwar mit uns allen. Meistens waren das ganz normale Gespräche, zu denen jeder seinen Senf beitrug und alle durcheinanderredeten. Damals hab ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was ich sage. Heute jedoch befragen die Journalisten mich und die Band getrennt voneinander, fast als wären sie Cops, die mich und meine Komplizen in separaten Zellen festhalten und darauf hoffen, dass wir uns verplappern und uns gegenseitig anschwärzen.
Bevor wir reingehen, brauche ich unbedingt noch eine Zigarette. Deshalb stehen Aldous und ich draußen vor dem Hotel in der grellen Mittagssonne. Eine Menschentraube bildet sich um uns. Die Leute mustern mich, tun aber selbstverständlich so, als würden sie mich gar nicht registrieren. Und genau darin unterscheidet sich New York vom Rest der Welt. Natürlich sind die Leute hier genauso celebritygeil wie anderswo, aber die New Yorker – oder zumindest diejenigen, die sich für weltmännisch halten und gern in Gegenden wie SoHo abhängen –, tun gern so, als wäre ihnen scheißegal, was sie da sehen, wenn sie dich durch ihre dreihundert Dollar teuren Sonnenbrillen abchecken. Und genauso abschätzig reagieren sie, wenn irgendwelche Ortsfremden gegen diese Regel verstoßen und auf einen zurennen und einen um ein Autogramm bitten, wie gerade eben diese Mädchen in ihren Michigan-College-Sweatshirts. Die drei Snobs, die ganz in unserer Nähe herumstehen, gucken genervt und beobachten die Mädchen. Sie verdrehen die Augen und werfen mir einen mitleidigen Blick zu. Als wären diese Mädchen das Problem.
»Wir brauchen eine bessere Tarnung für dich, Wilde Man «, meint Aldous, nachdem die Mädchen aufgeregt kichernd davongehuscht sind. Er ist der Einzige, der mich noch so nennen darf. Früher war das mein Spitzname, eine Anspielung auf meinen Nachnamen, Wilde. Aber irgendwann habe ich dann mal ein Hotelzimmer demoliert, und danach wurde ich vor allem in der Regenbogenpresse als »Wilde Man« bekannt.
Und ganz wie gerufen taucht plötzlich ein Fotograf auf. Man kann wirklich nicht länger als drei Minuten vor einem Sternehotel stehen, ohne dass einer von denen aufkreuzt. »Adam! Ist Bryn da drin?« Ein Foto von Bryn und mir wäre natürlich um einiges mehr wert als nur ein Foto von mir allein. Doch als das erste Blitzlicht aufflackert, schiebt Aldous dem Kerl eine Hand vor die Linse und mir eine vors Gesicht.
Während er mich nach drinnen bugsiert, hält er mich am Arm fest. »Die Journalistin heißt Vanessa LeGrande. Sie ist keine von diesen grauhaarigen Gestalten, die du so sehr hasst. Sie ist jung. Nicht jünger als du, aber so Anfang zwanzig, schätze ich. Bevor man sie für Shuffle angeheuert hat, schrieb sie für ein Blog.«
»Für welches Blog denn?«, hake ich nach.
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