Lovesong
du mit Mia Hall auf derselben Schule warst«, sagt sie jetzt unumwunden. »Kennst du sie? Die Cellistin? Sie sorgt für wahre Begeisterungsstürme. Oder wie auch immer man das in der Welt der klassischen Musik nennen mag. Vielleicht Trommelwirbel.«
Das Glas in meiner Hand bebt. Ich muss die andere Hand zu Hilfe nehmen, um es wieder auf den Tisch zurückzustellen, ohne mir den Inhalt überzukippen. Alle Leute, die darüber Bescheid wissen, was damals wirklich passiert ist, schweigen wie ein Grab, sag ich mir. Gerüchte, selbst die, an denen tatsächlich was dran ist, sind wie Flammen: Wenn man ihnen den Sauerstoff nimmt, flackern sie kurz und gehen dann aus.
»Der Musikunterricht an unserer Schule war ziemlich gut. War wohl so was wie eine Brutstätte für Profimusiker«, erkläre ich.
»Ich verstehe«, sagt Vanessa und nickt verständnisvoll. »Es geht das Gerücht um, dass du und Mia damals an der Highschool ein Paar gewesen wärt. Und das ist schon komisch, weil ich noch nie was darüber gelesen hab, und dabei ist das doch eigentlich ziemlich interessant.«
Ganz kurz sehe ich Mias Gesicht deutlich vor mir. Siebzehn Jahre alt, die dunklen Augen voller Liebe, Gefühl, Angst, Musik, Sex, Magie, Schmerz. Ihre eiskalten Hände. Meine eigenen frostigen Finger, die sich immer noch an das Glas mit eiskaltem Bier klammern.
»Es wäre sicher bemerkenswert, wenn es denn wahr wäre«, sage ich und bemühe mich, überzeugend zu klingen. Ich nehme noch einen Schluck und bestelle ein weiteres Bier beim Ober. Das ist jetzt schon mein drittes, die Nachspeise meines flüssigen Dreigängemenüs.
»Es ist also nicht wahr?« Sie klingt nicht überzeugt.
»Reines Wunschdenken«, erwidere ich. »Wir kannten uns in der Schule nur ganz flüchtig.«
»Nun ja, ich konnte auch niemanden ausfindig machen, der einen von euch beiden kennt, der dies hätte bestätigen können. Doch dann bekam ich ein altes Jahrbuch in die Finger, und darin stieß ich auf ein ganz süßes Bild von euch beiden. Auf dem seht ihr aus wie ein richtiges Paar. Blöd nur, dass unter dem Foto keine Namen stehen, nur eine seltsame Bildunterschrift. Wenn man also nicht weiß, wie Mia aussieht, dann fällt es einem gar nicht auf.«
Das haben wir Kim Schein zu verdanken, Mias bester Freundin, Königin des Jahrbuchs, Paparazza. Wir hatten nicht gewollt, dass sie dieses Bild veröffentlichen, aber Kim hat es trotzdem reingeschmuggelt, indem sie einfach unsere Namen weggelassen hat. Stattdessen hat sie uns einfach dämliche Spitznamen verpasst.
»Der Coole und die Streberin«, meint Vanessa. »Das waren wohl eure Decknamen, wie?«
»Du benutzt also alte Schuljahrbücher als Informationsquelle, ja? Und was sonst noch so? Wikipedia vielleicht?«
»Na, du bist auch nicht gerade die zuverlässigste Quelle. Sagtest du nicht, ihr hättet euch nur ›ganz flüchtig‹ gekannt?«
»Sieh mal, kann sein, dass wir mal für ein paar Wochen zusammen waren, damals, als dieses Foto geschossen wurde. Aber ich war mit so einigen Mädchen zusammen während meiner Highschoolzeit.« Ich schenk ihr mein überzeugendstes Playboy-Grinsen.
»Du hast sie also seit damals nicht wiedergesehen?«
»Nicht, seitdem sie aufs College geht«, bestätige ich. Der Part entspricht zumindest voll und ganz der Wahrheit.
»Und wie kommt es dann, dass alle deine Bandkollegen meinten, dazu wollten sie nichts sagen, als ich sie in ihren Interviews darauf ansprach?«, fragt sie nun und sieht mir fest in die Augen.
Weil wir, wenn auch sonst so einiges schiefgegangen ist zwischen uns, immer noch loyal den anderen gegenüber sind. Zumindest was diesen Punkt anbelangt. Ich aber zwinge mich, mit fester Stimme zu sagen: »Weil es da nichts zu erzählen gibt. Für Leute wie dich ist es natürlich ein gefundenes Fressen, wenn zwei bekannte Musiker auf derselben Highschool und dann auch noch ein Paar waren.«
»Leute wie ich?«, hakt Vanessa nach.
Aasgeier. Blutsauger. Seelendiebe. »Na, Klatschreporter halt«, sage ich. »Die stehen doch total auf Märchen.«
»Nun, wer tut das nicht?«, erwidert Vanessa kühl. »Obwohl das Leben dieses Mädchens wohl alles andere als märchenhaft zu nennen ist. Immerhin hat sie ihre komplette Familie bei einem Autounfall verloren.«
Vanessa schüttelt sich, so wie man sich schüttelt, wenn man über das Unglück anderer Menschen spricht, das aber Gott sei Dank nichts mit einem selbst zu tun hat, das einen nicht wirklich berührt, und das einem auch in Zukunft nicht
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