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Luc t'a pan - Teil 1 (German Edition)

Luc t'a pan - Teil 1 (German Edition)

Titel: Luc t'a pan - Teil 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Wand
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Schwein, drum lass dich niemals mit ihr ein.“
 Die Kinder verkleinerten nach jedem Vers den Radius, bis sie in greifbarer Nähe für sie war.
 „Lyn ist taub und stumm, drum bleibt sie auch für immer dumm.“
 Schließlich schubsten sie sie lachend hin und her, bis ihr die Brille vom Kopf fiel und Lyn zu weinen begann.
 „Lyn hat ne Brille, doch die hat keinen Zweck, drum füttern wir sie jetzt mit Dreck.“
 Die vier Jungen aus der sechsköpfigen Gruppe stürzten sich unter den Anfeuerungsrufen der restlichen zwei Mädchen auf Lyn. Drei von ihnen pressten sie auf den Boden und fixierten sie, während der Vierte ihr, mit einer Hand voll Erde bewaffnet, die Nase zuhielt, damit sie den Mund aufmachte.
 „Los, stopft ihr das Zeug schon ins Maul ... friss, du dummes Huhn ... und noch ne Ladung, ich glaub, sie hat noch nicht genug!“ Das Gekreische nahm kein Ende. „Immer schön kauen und brav runterschl ...„
 „JETZT LANGT'S ABER!“
 Sie hatten ihn nicht kommen gehört.
 Marshall Jenkins.
 Im gleichen Alter, aber einen Kopf größer. Schneller. Wendiger. Stärker.
 Marshall Jenkins.
 DER Sonderling in ihrer Klasse. An der ganzen Schule. Der Junge mit dem Teufelsblick. Als wären seine Augen mit Teer ausgekleidet – sie besaßen kein Weiß. Nicht einen Tropfen.
 „Achtung, die Krähe kommt! Los, alle abhauen!“ Sie ließen von Lyn ab, suchten schnell das Weite und zerstreuten sich in alle Richtungen.
 Marshall ging vorsichtig auf Lyn zu, die immer noch am Boden lag. Sie würgte und hustete, bis sie sich unter Krämpfen ins Gras erbrach.
 „Lyn, nicht ...“ Marshall sprang auf sie zu. Doch da war es schon zu spät. Der Mageninhalt begrub ihre Brille unter sich. Er nahm ihren Oberarm und zog sie sanft von ihrem Erbrochenen fort. „Alles okay, Lyn. Kein Problem, die waschen wir einfach im Bach wieder sauber.“ Marshall kniete sich neben dem im Gras sitzenden Mädchen und legte ihr den Arm um die Schulter. Er spürte das Vibrieren ihres ganzen Schmerzes, als wäre es sein eigener. Er sah Lyns Mund, der sich immer wieder öffnete und schloss. Wie sie verzweifelt um ein Wort kämpfte. Eine Silbe. Einem winzigen Aspekt menschlicher Kommunikation. Doch einzig ein Krächzen verließ ihre Kehle, und selbst dieses fiel in einem abgehackten Stakkato in sich zusammen.
 Lyn konnte nicht sprechen. Sie war seit ihrer Geburt vor acht Jahren stumm.
 Stumm. Taub. Halb blind.
 Zudem besaß sie X-Beine und litt an Übergewicht aufgrund einer Stoffwechselstörung. Und als ob das Schicksal nicht schon genügend Scheiße über ihr ausgegossen hätte, war sie zu allem Überfluss auch noch Vollwaise.
 Das perfekte Opfer.
 Marshall fühlte mit ihr; er kannte die erstickende Einsamkeit der durchheulten Nächte, wenn ein Kinderherz seine Arme nach der Mutter ausstreckte und nichts als verblassende Erinnerungen zu fassen bekam. Wenn alle Hoffnungen an ein Wiedersehen in diesem Nebel ertranken.
 Auch wenn er wusste, dass Lyn ihn nicht hören konnte, sprach er weiter beruhigend auf sie ein. Tief im Innern seiner Seele spürte Marshall, dass er sie trotzdem erreichte. Denn eines hatte er in den zehn Jahren seines bisherigen Lebens gelernt – Gott erhört deine Gebete nicht und in deinem Schmerz bist du alleine.
 Er streckte ihr eine Hand hin, um ihr zu signalisieren, aufzustehen, damit sie zum fünfzig Meter entfernten Bach, der parallel zum Feldweg verlief, auf dem sie sich gerade befanden, gehen konnten. Er verdeutlichte ihr seine Absicht, indem er mit Zeige- und Ringfinger der anderen Hand Schrittbewegungen nachahmte und anschließend in Richtung des Gewässers deutete.
 Doch Lyn zögerte. Sie hatte zwar zu weinen aufgehört, das Zittern war ebenfalls verebbt, aber als sie ihren Kopf hob und Marshall ins Gesicht sah, hielt sie mitten in der Bewegung inne.
  Meine Augen. Es sind immer meine Augen. Zumindest am Anfang.
  Marshall kannte alle Reaktion, die seine Anomalie zu Beginn bei seinem Gegenüber auslösen konnte. Trotzdem überraschte es ihn, dass Lyn stockte.
  Ich dachte immer, sie hätte mich schon mal aus der Nähe gesehen. Aber vielleicht täusche ich mich auch.
  „Na komm schon. Ich beiße nicht.“ Er nickte ihr aufmunternd zu und zog an ihrem Arm. Schließlich löste sich Lyns Starre. Sie stand mit wackeligen Beinen auf, klopfte sich die Erde von ihren aufgeschürften Knien und strich ihr Kleid glatt. Marshall kramte währenddessen ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, mit dem er die von

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