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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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allerdings ebenfalls wie Kunstgebilde aus. Alle hatten riesige Fensterfronten mit Blick auf das Meer, aber sie waren poppiger und lebendiger als das kühle Haus, in dem Dad mit Michelle lebte.
    Faye steuerte auf einen Pier zu und ich konnte die Surfer und Wellenreiter jetzt aus der Nähe betrachten. Dicht am Ufer warteten sie auf die perfekte Welle. Sie alle trugen schwarze Neoprenanzüge und sahen aus wie Raben ohne Flügel, die ins Wasser gefallen waren.
    Kurz vor dem Pier an einer in den Strand gebauten Mauer hielt Faye endlich an.
    »Wir sind da«, sagte sie.
    Die Sonne stand jetzt hoch am Himmel, aber wirklich warm war es nicht. Vielleicht zwanzig Grad. Ich trug nur das dünne T-Shirt und hatte sofort eine Gänsehaut.
    Faye zog eine Decke aus ihrem Rucksack und breitete sie auf dem Sand aus.
    Wir setzten uns. Faye schwieg. Ihre langen roten Locken fielen ihr über die Schultern bis zur Rückenmitte und ihre Hände spielten an dem Saum ihres Kleides.
    Neben uns saß ein Mädchen. Sie hatte lange feuerrote Locken und trug ein altmodisches Kleid. Es war silbergrau.
    Hinter uns echote die Geräuschkulisse von Venice Beach. Ich drehte mich um, dann sah ich nach rechts. Zwei Jungen spannten ein Netz am Strand auf, neben ihnen lag ein weißer Ball.
    Ein paar Jungs spielten Volleyball.
    »Suchst du jemanden?«, fragte Faye plötzlich. Ihre grauen Augen sahen mich forschend an.
    »Nein . . .« Ich biss mir auf die Lippen. »Ich kenn hier doch keinen.«
    Faye lächelte. »Stimmt«, sagte sie. »Das war eine dumme Frage.«
    Sie schaute wieder aufs Meer, eine ganze Weile lang. Der Rucksack lag neben ihren Füßen.
    Sie zeichnete.
    »Hast du was zu malen dabei?«, platzte es aus mir heraus. Ich wusste, dass diese Frage völlig gestört klingen musste, aber Faye nahm sie ganz selbstverständlich zur Kenntnis.
    »Ja«, sagte sie. »Immer.«
    »Und . . . hättest du vielleicht Lust, etwas . . . zu malen?«
    »Warum nicht?« Faye holte einen kleinen Block, einen Bleistift und einen Anspitzer aus ihrem Rucksack. Während sie den Bleistift spitzte, warf sie mir einen prüfenden Blick zu. Ein Mann kam an uns vorbei, er hatte eine Angel in der Hand und neben ihm lief ein kleiner Junge. »Ich warte hier auf Mommy«, rief er seinem Vater zu.
    Der Mann nickte ihm zu und ging hinüber zum Pier. Der Junge setzte sich in den Sand und fing an, seine nackten Füße einzugraben.
    Sie zeichnete ein Bild von einem kleinen Jungen.
    Faye drehte sich um, sodass sie jetzt das Kind im Blickfeld hatte. Sie winkelte ihre Beine an und begann zu zeichnen.
    Der kleine Junge hatte mittlerweile seine Beine halb verbuddelt. Eine Möwe landete neben ihm, pickte ein paar Mal im Sand herum, dann flatterte sie weiter. Der Junge nahm nichts und niemanden wahr, auch nicht Faye.
    Ihr Kopf war über das Bild gebeugt und ihre roten Haare versperrten mir die Sicht. Ich sah nach rechts, nach links, nach hinten, nach vorn, bis mir schwindelig wurde.
    Nichts.
    Schließlich hielt mir Faye ihre Zeichnung hin. »Da«, sagte sie. »Für dich.« Ich starrte auf das Bild.
    Faye hatte mich gezeichnet. Es war wie der Blick in den Spiegel, den ich bis jetzt noch nicht gewagt hatte. Mein Gesicht, das einst rund gewesen war, wirkte jetzt mager und ausgemergelt. Nase und Mund waren nur mit blassen Strichen angedeutet. Das eigentlich Vorherrschende in meinem Gesicht waren die Augen. Sie waren groß, dunkel und so leer, dass ich vor mir selbst Angst bekam. Ich sah leblos aus.
    Sie zeichnete ein Bild von einem kleinen Jungen und wir haben ihr zugesehen.
    Nein! Nein! Nicht wir! Ich krallte meine Hände in den Sand, ich spürte, wie sich die harten Körner schmerzhaft in die weiche Haut unter den Fingernägeln gruben.
    Was hatte ich erwartet? Es war absolut hirnverbrannt hierherzukommen. Warum sollte er hier sein, nachdem er mich auf diese Weise verraten und allein gelassen hatte? Warum . . .
    Stopp! Ich durfte nicht weiterdenken, musste . . .
    »Dir fehlt etwas.« Fayes Stimme war sehr leise, aber plötzlich hatte ich das Gefühl, mir die Ohren zuhalten zu müssen. Die Worte schrillten durch meinen Kopf und brannten sich in jeden Winkel meines Hirns ein.
    Ich krümmte mich, schlang die Arme um meine Brust und fing an zu wimmern.
    Schwämme sind Meister der toxischen Abwehr, ihr genetischer Code weist große Ähnlichkeit zu dem des Menschen, des Menschen, des Menschen . . .
    Wie eine Wahnsinnige klammerte ich mich an mein Mantra, obwohl ich wusste, dass es zu spät war. Ich hatte

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