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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Tempo.
    »Gleich sind wir da«, sagte sie. »Das eben war Santa Monica. Jetzt kommt Venice Beach. Ich such uns einen Parkplatz und dann gehen wir an den Strand. Ja?«
    Letzte Nacht hab ich geträumt, dass wir am Strand saßen. Ich weiß nicht, wo dieser Strand war.
    Faye parkte den Bentley in einer kleinen Seitenstraße. Es war ein öffentlicher Parkplatz. Zwei junge Surfer in schwarzen Neoprenanzügen und mit funkigen Surfboards unter dem Arm pfiffen uns hinterher. Der dunkelhäutige Parkplatzwärter knöpfte Faye fünf Dollar ab und nannte sie Sweetheart. Mir zwinkerte er zu und fragte: »How are you today, my Love?«
    »Fine, thank you«, murmelte ich und versuchte mir unwillkürlich vorzustellen, wie mich ein deutscher Parkplatzwärter fragen würde:
    »Wie geht es dir heute, mein Liebling?«
    Faye angelte eine alte Ledertasche vom Rücksitz und winkte mir, ihr zu folgen.
    Wir bogen links in die Seitenstraße ein und kamen an einer Graffitizeichnung vorbei, die an die Mauer eines Hauses gesprüht worden war. Es war eine Art Comic, ein riesiger Mädchenkopf mit schwarzen Haaren. Der Pony hing fransig in die Stirn, die Haut war lilafarben. Das Mädchen hatte mandelförmige Augen, aber sein Blick war unglaublich streng. Links daneben stand in großen schwarzen Lettern die Aufforderung: Remember who you are.
    »Ich mag Venice. Da, wo deine Familie wohnt, würde ich es nicht aushalten«, sagte Faye und lächelte.
    Ich halte es auch nicht aus, dachte ich und lief neben Faye her, die jetzt nach rechts bog. »Ein Stück müssen wir noch«, sagte sie.
    »Kein Problem«, gab ich zurück und dankte innerlich der strengen Krankenschwester, die meinen Körper wieder aufgebaut hatte. Als ich das erste Mal in der Klinik aus dem Bett gestiegen war, waren mir sprichwörtlich die Beine weggeknickt und in den Tagen danach war allein der Gang auf die Toilette so etwas wie eine Extremsportart gewesen.
    Die Strandpromenade, die wir jetzt betraten, nannte Faye Ocean Front Walk, und was Suse in ihrer Mail über Venice Beach mit galaktisch gemeint hatte, verstand ich nun. Diese Promenade hatte das Flair des Schanzenviertels, aber es war viel mehr als das. Im Gegensatz zu dem Wohnort meines Dads, selbst wenn ich ihn nur vom Durchfahren kannte, tobte hier das richtige Leben. Faye erzählte mir von dem Gründer des Ortes, Abbot Kinney. Er war ein Tabakmillionär gewesen und hatte den feuchten Sumpf südlich von Santa Monica in einen von Kanälen durchzogenen Themenpark mit Gondeln und einem Vergnügungspier verwandelt. 1920 hatte eine Feuersbrunst die meisten Bauwerke zerstört. »Jim Morrison«, sagte Faye, »war einer von denen, die den Charme dieses Ortes erkannt haben. Die Stadt ließ Geld für die Restaurierung springen und seit Ende der Neunziger zählt Venice zu den Highlights von Los Angeles.«
    Letzte Nacht hab ich geträumt, dass wir am Strand saßen. Ich weiß nicht, wo dieser Strand war. Es war jedenfalls ziemlich viel los.
    Die Promenade war voller Menschen. Kinder, Babys, Schwarze, Weiße, Menschen allen Alters und aller Schichten tummelten sich hier, sodass wir streckenweise nur im Schneckentempo vorankamen. Aus allen Ecken ertönte Musik, ein wilder Mix aus Trommeln, Rap, Rock und Elektropop, und zu unserer Linken reihten sich kleine Strandhotels, Trödelläden, Cafés, Wahrsagerbuden, Tattooshops, Schmuck- und T-Shirt-Stände aneinander. Straßenmusiker spielten Gitarre, aus einem riesigen Verstärker donnerte uns Hip-Hop entgegen, ein Rapper mit langen Rastalocken turnte in wilden Verrenkungen über das Pflaster, ein Mann auf Stelzen beugte sich zu einem kleinen Mädchen herunter und ein Inder mit Turban und grauem Bart glitt auf seinen Blades an uns vorbei.
    Faye lief neben mir her und sagte nichts, nur ab und zu begegneten sich unsere Blicke und sie lächelte mich an. Etwas an ihr erinnerte mich an Spatz.
    Wir kamen an Handlesern, Tänzern und Straßenmusikern vorbei. In einem riesigen Käfig mit der sinnigen Bezeichnung Muscle Beach trainierten muskelbepackte Männer . Auf langen Tapeziertischen stellten Künstler ihre Bilder aus, zum größten Teil einfache Werke, Straßenkunst eben, Pop-Art und lauter esoterisches Zeugs. Einige der Künstler grüßten Faye, bei manchen blieb sie stehen, um ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Ich blickte zum Strand hinüber.
    Im Wasser waren Surfer.
    Auf der Promenade war es ruhiger geworden, offensichtlich hatten wir den belebten Teil hinter uns gelassen. Die Wohnhäuser hier sahen

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