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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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worden war.
    Im unteren Teil befand sich ein Kamin, davor lag ein dicker weicher Teppich mit riesigen Kissen, herumliegenden Zeitungen, hohen Bücherstapeln und Dads Gitarre, die Janne ihm vor vielen Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Das größte Möbelstück war der Schreibtisch, der gut vier Meter lang und zwei Meter breit war. Darauf stand der Computer, darum herum gruppierten sich Dutzende von Steinen, Muscheln und jede Menge gerahmter Fotos. Auf einem war Michelle zu sehen. Sie saß auf einem Karussellpferd, ihr blondes Haar flog ihr aus dem Gesicht. Sie warf eine Kusshand in die Kamera und sie lachte. Nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit den Augen – das ganze Gesicht war ein verliebtes, glückseliges Leuchten. Es war keine Frage, wer der Fotograf gewesen war.
    Drei Fotos waren von Val, der Rest, etwa zehn Bilder, zeigte mich und ich lachte auf fast allen. Hastig schaute ich weg, ich konnte mein fröhliches Gesicht nicht ertragen, das war gefährliches Terrain.
    Mein Blick blieb an einer vergilbten Radierung hängen, die ungerahmt an Dads Computer lehnte. Sie sah ziemlich alt aus. London 1912 stand auf dem rechten unteren Rand, die zarte Signatur darunter war nicht zu entziffern.
    Das Bild zeigte zwei Männer um die vierzig, zwischen denen eine junge, auffallend schöne Frau stand. Sie posierten vor einer Gartenlaube, aber der Hintergrund war nur vage angedeutet.
    Die Frau war wunderschön. Ihr schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre großen dunklen Augen funkelten. Sie erinnerte mich ein bisschen an die junge Audrey Hepburn aus dem Film Frühstück bei Tiffany . Sie sah grazil, fast zerbrechlich aus, undhielt sich sehr gerade. Der Mann zu ihrer Rechten, blond und gut aussehend, kam mir bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Er hatte seinen Arm um die Taille der Frau gelegt, in einer stolzen, besitzergreifenden Geste, und strahlte selbstbewusst in die Kamera. Der Mann auf der linken Seite der Frau war dunkelhaarig. Er hatte eine hohe Stirn und wache, sehr ernste Augen, die ebenfalls auf die Kamera gerichtet waren.
    Mein Blick wanderte zurück zu dem Blonden und nun wusste ich, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte. Es war mein Urgroßvater, William Al.
    »Nicht erschrecken«, hörte ich eine helle Stimme hinter meinem Rücken sagen.
    Ich fuhr so jäh herum, dass mir das Bild aus der Hand fiel. In der ersten Schrecksekunde hatte ich Michelle erwartet. Aber in der Tür des Gartenhauses stand ein Mädchen. Es war zart und blass und im ersten Moment dachte ich, es sei eine Freundin von Val. Aber beim zweiten Hinsehen bemerkte ich, dass das Mädchen älter war, vielleicht so alt wie ich, vielleicht ein bisschen jünger. Ihr Aufzug war ziemlich schräg. Sie trug eine schwarze Baskenmütze und ein altmodisches Kleid, das die gleiche Farbe hatte wie ihre Augen, silbrig grau.
    »Wer bist du?«, hörte ich mich fragen, immer noch erstaunt, dass die Worte wie von selbst ihren Weg aus meinem Mund fanden.
    »Meine Name ist Faye«, sagte das Mädchen und hob die Radierung auf. »Ich bin Vals Kindermädchen.« Ihre Stimme hatte einen altmodischen Akzent, sie hörte sich nicht an, als wäre sie Amerikanerin. Lächelnd musterte sie mich. »Und du bist Dornröschen?«
    Dornröschen? Ich zuckte zusammen und fühlte einen Funken von dem Menschen in mir aufblitzen, der ich früher gewesen war und der sich so was nicht bieten ließ.
    »Rebecca«, fauchte ich. »Ich heiße Rebecca.«
    Das Mädchen, das sich Faye nannte, lächelte wieder. Dann trat es auf mich zu und hielt mir die Radierung hin.
    »Hast du das gesehen?«, fragte sie. Sie deutete auf den dunkelhaarigen Mann oder zumindest dachte ich, dass sie ihn meinte, doch dann sah ich, was sie mir zeigen wollte. Der Handrücken des Dunkelhaarigen und der Handrücken der jungen Frau berührten sich. Aber das war nicht alles. Ihre kleinen Finger waren ineinander verhakt. Es war wie bei einem Suchbild. Das winzige Detail fiel nur demjenigen auf, der es genau betrachtete. Aber es gab dem Bild eine völlig neue Dimension.
    »Wäre es nicht interessant zu wissen, wie es von diesem Punkt an weitergeht?«, fragte Faye.
    »Was?« Ich starrte das sonderbare Mädchen an. »Was soll das, was redest du da für einen Scheiß?«
    Faye zuckte mit den Schultern. »Wir können gerne über etwas anderes reden«, sagte sie. »Ich habe gehört, dass du in einer Klinik gewesen bist? Wie war es dort? Nett? Hast du noch andere Verrückte kennengelernt?«
    Sie legte

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