Lucian
Und ich . . .« Er sah mich traurig an.». . . Ich fühlte plötzlich, dass ich dich liebte. Es war das erste Mal, dass ich etwas fühlte und auf dich reagierte. Und dann wurden andere Gefühle in mir wach. Ich wollte dich berühren. Ich wollte mit dir sprechen. Mit dir lachen. Dich küssen. Und du . . .«
Lucian schüttelte den Kopf. » . . . du hast aufgehört zu singen. Du hast dich verwundert umgeblickt. Du fingst wieder an, dich im Raum zu drehen. Ganz offensichtlich hast du nach jemandem gesucht.« Lucian wandte seinen Kopf zum Schaukelstuhl. Ich folgte seinem Blick. Die Katze hatte jetzt beide Augen geschlossen und schien zu schlafen. Seltsamerweise sah sie noch immer aus, als würde sie jedes Wort mitbekommen, das wir sprachen.
»Ich glaube, du hast mich gesucht, Rebecca«, sagte Lucian. »Aber du hast mich nicht gesehen. Du warst verwirrt, dann traurig. Ich konnte nichts sagen, aber ich hatte wieder und wieder nur diesen einen Gedanken: Ich wollte dir zeigen, dass ich da war. Ich wollte dich berühren. Plötzlich fühlte ich, dass ich alles dafür geben würde, wenn ich dich nur einmal berühren dürfte. Und dann . . .«
Lucian brach gequält ab. Die Katze zuckte mit den Ohren. Ein Teil des Vorhangs wehte aus dem Fenster, ein weißer, dünner Schleier.
»Was war dann?«
»Filmriss«, sagte Lucian. »Der Traum wurde zum Albtraum, ganz unmittelbar, als hätte sich eine Szene an die andere gereiht. Da waren Scherben. Da war Blut. Du hast mir direkt in die Augen geblickt. Und dann hast du mich angefleht, dich am Leben zu lassen.«
Lucian vergrub sein Gesicht in den Händen. »Oh Gott, Rebecca, was habe ich getan?«, flüsterte er. »Ich habe solche Angst, dass es wieder geschieht. Dass es wahr wird, wie alle anderen Träume auch. Dass ich schuld bin. Deshalb bin ich zu deiner Mutter gegangen. Sie sollte dich fortschicken, so weit wie möglich von mir fort.«
Lucian senkte den Kopf, eine Weile saßen wir nur da und schwiegen.
»Was war danach?«, fragte ich. »Was ist nach dieser Nacht geschehen, nachdem du mit Janne gesprochen hast?«
Lucian hob ein Blatt auf, das auf der Veranda lag. Er strich es mit den Fingern glatt. »Ich hatte Schmerzen«, sagte er. »Schmerzen, die unbeschreiblich waren und die einfach nicht aufhörten.«
Lucian zerdrückte das Blatt zwischen seinen Händen. »Ich hätte sie ausgehalten«, stieß er fast trotzig hervor. »Aber dann wurde mir klar, dass du dasselbe durchmachst.«
Ich brauchte nicht einmal zu nicken.
»Deshalb«, sagte er, »nur deshalb bin ich dir gefolgt.«
Ich musste lächeln. »Du hast dich also auch erinnert?«
Lucian nickte. »Als mein Flieger in San Francisco landete, ließen die Schmerzen nach.«
Er öffnete seine Hand und ließ das zerkrümelte Blatt auf die Wiese gleiten. Der Mond verschwand hinter den Bäumen und mit einem Mal lag um uns herum alles im Dunkeln.
Lucian erhob sich von den Stufen und verschmolz mit der Schwärze. Der Schein eines Feuerzeuges flammte auf und ich sah, wie Lucian ein Windlicht anzündete, das auf dem Tisch der Veranda stand. Die Katze maunzte.
Als Lucian mit dem Windlicht in der Hand zurückkam und sich vor mir auf den Stufen niederließ, war sein Gesicht halb im Schatten und halb im Licht.
»Warum hast du keine Angst vor mir, Rebecca?«, fragte er leise und stellte das Windlicht zwischen uns auf die Stufen. »Warum läufst du nicht schreiend davon? Ich könnte dein Mörder sein.«
Das bist du nicht, dachte ich. Du bist mein Engel.
Unsere Schatten tanzten jetzt über den Holzboden der Veranda.
Ich dachte an Faye, die mit Finns Hilfe herausgefunden hatte, wer sie war. Ich dachte an Tyger, der es von Faye erfahren hatte. Und ichdachte daran, wie beide, Faye und Tyger, mir auf ihre sehr unterschiedliche Weise klargemacht hatten, wer Lucian war.
Nun musste ich es schaffen.
Ich hatte mir nicht überlegt, wie ich anfangen sollte, und sagte einfach das, was mir als Nächstes in den Sinn kam. »Erinnerst du dich an deinen Traum von dem Mädchen am Strand? Dem Mädchen mit den roten Haaren und dem silbernen Kleid?«
»Ja.« Lucian nickte verwirrt. »Wieso fragst du das?« »Ich habe sie kennengelernt«, sagte ich.
Lucian lehnte sich an das Treppengeländer. Aus der Ferne hörte ich das Geräusch eines Motorrads.
»Ihr Name ist Faye«, fuhr ich fort. »Sie ist das Kindermädchen meiner kleinen Schwester. Sie ist mit mir an den Strand gefahren. Wir saßen genau an der Stelle, an der du uns im Traum gesehen hast. Und sie
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