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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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einen langen Schatten auf die Veranda und in diesen Schatten hinein sprang jetzt auf lautlosen Pfoten die Katze, sodass sie für einen Augenblick unsichtbar war. Dann tauchte sie in den Schein des Windlichts, glitt lautlos vor das Fenster, setzte abermals zum Sprung an und verschwand im Inneren des Hauses.
    »In der Nacht, in der ich bei dir geblieben bin«, flüsterte ich und mein Gesicht war jetzt so nah an seinem, dass ich Lucians Atem auf meiner Haut fühlte. »Da hast du mich angeschaut und gesagt, es käme dir vor, als ob mir etwas fehlen würde, das andere haben. Du warst es, Lucian. Du hast mir gefehlt, weil du nicht mehr als Engel an meiner Seite warst, sondern als Mensch.«
    Lucian hob die Hände. Ich sah, wie hinter seinem Gesicht eine Welt zerbrach und aus den Scherben eine neue entstand.
    Er begriff. Lucian begriff, wer er war.
    »Vertraust du mir?«, flüsterte ich.
    Wir waren der Katze gefolgt und das kleine Zimmer, in dem wir landeten, war dasselbe, in dem ich früher als Kind geschlafen hatte. Lucian hatte seine letzte Nacht hier verbracht. Wie er hierhergekommen war, wusste ich noch immer nicht, aber es hatte jetzt auch keine Bedeutung.
    Das Laken, auf das wir uns legten, roch nach ihm und das Windlicht stand nun auf dem kleinen Tisch vor dem Fenster. Der Himmel davor hatte ein tiefdunkles Blau angenommen und die kleine Flamme ließ unsere Schatten im Raum umhertanzen. Die Katze war irgendwo im Haus verschwunden.
    »Ich vertraue dir«, flüsterte Lucian. Er hatte mir den Pullover ausgezogen, dann den Badeanzug, dann hatte er seine Jeans abgestreift und das Shirt.
    Ich spürte seine warme, lebendige Nähe neben mir.
    Sie war realer als je zuvor und ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so gefühlt zu haben wie jetzt. Auf seinem Gesicht lag ein Leuchten, das diesmal durch und durch menschlich war.
    Mit einer sanften Bewegung zog er mich an sich und dann begannen seine Hände meinen ganzen Körper zu erforschen und auch ich wollte ihn jetzt überall fühlen, seine Arme, die Schultern, die Wirbel auf seinem flachen, sehnigen Rücken und die Schulterblätter, die unter meinen Fingerspitzen zuckten.
    Obwohl wir nicht sprachen, waren wir nicht länger still. Lucians Atem, mein Atem, sie flossen beide zusammen, waren nicht länger zu unterscheiden und das Geräusch füllte den Raum. Sein Körper glitt auf meinen und das, was folgte, war wie tauchen, tief unter Wasser, nur unendlich viel schöner.
    Als Lucians Kopf auf meine Brust sank, war das Windlicht längst verloschen und der Himmel vor dem Fenster war blass vom Morgen.
    »Schläfst du mit mir?«, murmelte er, während meine Finger durch sein feuchtes Haar strichen. »Schläfst du mit mir ein, Schneewittchen?«
    Ich nickte und lächelte und ich fühlte mich so wunderbar müde wie schon lange nicht mehr.

SECHSUNDDREISSIG
    Helles Sonnenlicht weckte mich. Im ersten Moment wusste ich nicht, wo ich war, und sah mich blinzelnd im Zimmer um. Am Fenster stand ein brauner Holztisch, an der Wand ein blau gestrichener Bauernschrank, in der Ecke ein weißer Stoffsessel. Auf dem Fußboden lagen verstreute Klamotten: ein dunkelblaues Flanellhemd, abgetretene Docks, mein Kapuzenpulli, zwei Paar Jeans, deren Beine ineinander verschlungen waren.
    Mein Lächeln wurde breiter. Ich berührte den Arm, der schwer auf meiner Brust lag, drehte mich vorsichtig um und sah Lucian.
    Er lag auf dem Bauch, sein Gesicht war mir zugewandt. Das schwarze Haar fiel ihm in die Stirn und seine Lippen, die leicht geöffnet waren, hatten ein fast unwirkliches Rot. Seine Wimpern warfen winzige Schatten und seine Augenlider zuckten nicht einmal. Er atmete ruhig und tief und sah dabei so glücklich aus, wie ich mich fühlte.
    Ich küsste ihn auf die Wange. Er murmelte etwas im Schlaf, dann wand ich mich vorsichtig aus seinem Arm, angelte mir sein Hemd und tapste eingehüllt in den Geruch seines Körpers in den Flur, von dem links das Bad abging, rechts ein Schlafzimmer und weiter vorn ein großer Wohnraum mit einer offenen Küche.
    Obwohl ich mich an nichts erinnern konnte, fühlte ich mich sofort zu Hause. Alles war in hellen Farben gestrichen und die Möbel wirkten viel gemütlicher als die kühle Einrichtung in dem Haus in LosAngeles. Es gab dicke rostrote Sessel, einen flauschigen Teppich, einen offenen Bauernschrank mit einer Stereoanlage und Regale voller Bücher und Spiele. In einer großen Tonschale am Boden lagen bemalte Steine und auf einer kleinen Kommode standen gerahmte

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