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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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zurückgekommen, mit einer toten Maus zwischen den Zähnen. Sie hatte sie vor der Veranda ins Gras gelegt und sich dann hocherhobenen Hauptes daneben niedergelassen. Wie eine schwarze Sphinx saß sie vor uns im Gras und sah uns an. Der Wind strich leise durch die Wipfel der Bäume, es war ein sanftes Rauschen, fast wie ein Flüstern. Das dunkle Gras war hochgewachsen, hier und dort ragte Unkraut hervor und an einem der Bäume lehnte eine rote Sandschaufel.
    Es war seltsam, vorhin hatte für mich nur die Veranda existiert, vielleicht nicht mal sie, vielleicht nur der Mensch darauf. Auch jetzt zählte einzig und allein Lucian, aber die Welt um uns herum gehörte nun dazu, verschmolz mit uns und der hereinbrechenden Nacht.
    Die Katze erhob sich, kam auf lautlosen Pfoten die Treppenstufen hinauf und strich zwischen Lucians Beinen hindurch. Ich fragte mich, ob Tiere spürten, was wir Menschen nicht in Worte fassen konnten. Als Lucians Hand über ihr schwarzes Fell strich, fing sie leise an zu schnurren, dann glitt sie an uns vorbei. Wir drehten uns um,sahen, wie die Katze auf den Schaukelstuhl sprang, sich ein paar Mal im Kreis drehte und sich dann zu einer Kugel zusammenrollte, den Kopf in unsere Richtung gewandt. Sie klappte ein Auge zu, das andere blieb offen.
    Wir rückten voneinander ab, sodass wir uns jetzt gegenübersaßen. Lucian griff nach meinen Händen.
    »Ich muss dir etwas sagen.« Es war nur ein Satz, aber wir sprachen ihn gleichzeitig aus, als ob wir eine Person wären.
    Ich wollte wieder ansetzen, aber Lucian drückte meine Hände ganz fest.
    »Du musst mir zuerst zuhören«, bat er mich eindringlich. Sein Gesicht verzog sich. Sein Kiefer und die Adern auf seiner Stirn pulsierten und ich sah, wie sehr er mit sich kämpfte.
    Da begriff ich, dass ich ihn zuerst reden lassen musste, um ihm meine Wahrheit schonend beizubringen. Denn daran, dass er noch immer nicht wusste, wer er war, bestand kein Zweifel.
    »Hey«, sagte ich und lächelte ihn an. »Try me. Ich habe Zeit.«
    Lucian holte Luft. »Erinnerst du dich noch«, fragte er leise, »wie du mir sagtest, ich solle versuchen, davon zu träumen, wann ich dich das letzte Mal gesehen hatte?«
    Ich nickte und sah hinaus auf die Wiese. Das Mondlicht fiel jetzt direkt auf die Sandschaufel. Rot schimmerte sie im dunkelgrünen Gras.
    »Ich habe es probiert«, sagte Lucian. »Noch in derselben Nacht, nachdem ich dich mit deiner Mutter und ihrer Freundin in der Bar getroffen hatte. Erst gelang es mir nicht, aber dann folgte ich den Anweisungen in dem Buch deiner Mutter. Wieder und wieder wünschte ich mir diesen Traum, konzentrierte mich immer stärker darauf, bis . . .«
    Lucian schloss die Augen. ». . . bis er dann kam.«
    Der Wind trug die kühle Seeluft zu uns herüber.
    »Wir standen vor einer Tür«, sagte Lucian. »Du hast die Klinke heruntergedrückt und dann sind wir in diesen Raum getreten.«
    »Grüner Teppich? Kronleuchter?« Ich fragte es tonlos.
    Lucian sah mich verwirrt an. Dann sprach er weiter, seine Stimme klang rau, als wäre seine Kehle zugeschnürt.
    »Der Teppich war grün«, wiederholte er. »Es war ein plüschiges, kreischend hässliches Teil. Die Wände des Zimmers waren holzgetäfelt. Von der Decke hing ein Kronleuchter herab, ein riesiger, schwerer Lüster. Irgendwo muss ein Fenster offen gestanden haben, denn durch den Zug der geöffneten Tür kamen die gläsernen Tropfen in Bewegung. Sie klingelten leise.«
    Unwillkürlich drehte ich mich um und blickte in das geöffnete Fenster, hinter dem sich die Gardinen aufbauschten.
    Lucian schüttelte mit einem dunklen Lächeln den Kopf. »Ich weiß nicht, welcher Raum es war«, sagte er. »Jedenfalls nicht dieser. In seiner Mitte stand ein Bett mit einer geblümten Überdecke. Über dem Bett hing ein kitschiges Bild. Ein Foto von grünen Wiesen und Bergen. Und du . . .«
    Lucian ließ seine Finger über die hölzernen Stäbe des Treppengeländers streifen. » . . . du warst das einzig Schöne in diesem Raum. Wie immer war kein Kontakt zwischen uns. Aber du sahst glücklich aus. Du hast über die Bettdecke gestrichen, du hast gekichert und dann ist es geschehen.«
    Lucian hielt inne.
    »Was?« Auch ich hielt jetzt den Atem an. Es war, als hätte Lucians Traum ein paar Minuten früher eingesetzt als meiner. »Was ist geschehen?«
    »Du hast angefangen zu singen«, sagte er. »Ein kleines, albernes Lied. Heidi, Heidi . . . Du warst so ausgelassen. Du hast angefangen, dich zu drehen, du hast gelacht.

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