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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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allen Momenten zuvor auch – es funktionierte auf den Bruchteil der Sekunde genau.
    Mit funkelnden Augen sahen wir einander an.
    »Unentschieden«, sagte ich. »Und was jetzt?«
    »Ich schätze, jetzt müssen wir um unsere Wünsche feilschen.« Lucian legte den Kopf schief. »Was war deiner?«
    Ich deutete zum See. »Schwimmen gehen.«
    Er lachte leise. »Na, dann. Zufälligerweise wollte ich genau dasselbe.«
    Wir zogen uns aus, hüllten uns in zwei Decken und liefen zum Anleger. Es war kühl, Wolken waren aufgezogen, sodass jetzt weder Mond noch Sterne zu sehen waren. Der Wind fuhr durch mein Haar und streifte meine Haut und die Luft schmeckte plötzlich nach Regen.
    »Wieder auf drei?«, fragte Lucian, als wir am Rand des Anlegers standen. Ich nickte. Wir ließen unsere Hände los, streckten die Arme vor und sprangen kopfüber ins Wasser.
    Dunkelheit umschloss mich. Aber Lucian war direkt neben mir. Ich fühlte ihn, stärker noch als das kalte Wasser, das meinen Körper umschloss wie eine zweite Haut. Mit kräftigen Zügen stießen wir uns in die Tiefe, immer im Einklang, bis ich kaum noch Luft in den Lungen hatte, und noch immer wollte ich tiefer hinab. Kalte und warme Wasserschichten wechselten sich ab und nur widerwillig ließ ich mich zurück nach oben gleiten. Lucian kam mit, wir tauchten gleichzeitig an die Oberfläche und begannen zu kraulen. Seite an Seite durchpflügten wir den nächtlichen See, in ruhigen, kraftvollen Bewegungen, ohne zu sprechen, ohne zu denken, wir waren einfach nur da, zusammen an diesem magischen Ort.
    Der Wind rauschte jetzt durch die Gipfel der Bäume, er kräuselte die Seeoberfläche, und als wir in der Mitte des Sees waren, fielen zögernd und schwerfällig die ersten Regentropfen. Mit einem leisenPlatschen landeten sie auf der Oberfläche, wo sie kleine Kreise hinterließen, bis schließlich das ganze Wasser in Bewegung war. Die Tropfen wurden größer, sie prasselten auf unsere Haut, unsere Köpfe, unsere nackten Schultern und Arme. Ich fühlte Wasser überall, über uns, unter uns, um uns, es hüllte uns ein mit immer lauteren Trommelschlägen, und während wir uns inmitten all dieser winzigen Springbrunnen, die jeder Wassertropfen auf dem See hinterließ, an den Händen hielten, dachte ich an die Nacht in Hamburg, in der ich genau diesen Moment geträumt hatte.
    Ganz langsam schwächte der Regen ab, wie laute Stimmen, die zu einem Murmeln, dann zu einem Flüstern wurden und schließlich ganz innehielten. Der See schien auszuatmen, in einem einzigen großen Zug. Nebel zog auf, er kroch aus den Wäldern und geisterte über das Wasser. An einer Stelle rissen die Wolken auf und ein einzelner Stern kam zum Vorschein.
    Die Tropfen, die mir jetzt über die Wangen liefen, waren heiß und salzig.
    »Was ist?« Lucian sah mich erschrocken an. »Warum weinst du?«
    »Weil ich so glücklich bin«, flüsterte ich unter Tränen und musste lachen.
    Nach einer heißen Dusche kuschelten wir uns unter die warme Bettdecke.
    »Ich liebe dich, Rebecca«, flüsterte Lucian. »Ich liebe dich mehr als mein Leben.«
    Ich drückte seinen Kopf an meine Brust und sagte: »Ich liebe dich auch, Lucian.«
    Eng umschlungen schliefen wir ein.

SIEBENUNDDREISSIG
    Ich hörte das Klingeln wie im Traum. Es kam aus weiter Ferne, aber es schraubte sich näher und näher, wurde lauter und lauter, bis es mir in den Ohren schrillte.
    Ich öffnete die Augen. Draußen wurde es gerade hell, im Zimmer war es kühl und ich fröstelte.
    Lucian war wach. Er hielt meine Hand, aber er bewegte sich nicht. Ich bewegte mich nicht.
    Das Telefon klingelte. Es war das hässlichste, fremdeste und gleichzeitig realste Geräusch, das ich je gehört hatte. Es dauerte ewig. Als es verstummte, schwiegen wir noch immer.
    Die Katze lag am Fußende des Bettes. Sie gähnte und öffnete ein Auge, als wollte sie sich vergewissern, ob wir überhaupt noch da waren.
    »Es wird wieder passieren.«
    Es war Lucian, der die Stille brach.
    »Was meinst du?« Ich flüsterte, obwohl es keinen Grund dafür gab.
    »Der Traum«, sagte Lucian. Er lag auf der Seite und sah mich unverwandt an. Noch nie hatten seine Augen so hell gewirkt, noch nie die Schatten unter ihnen so tief. Seine Haut erschien mir plötzlich zu zart, fast durchlässig.
    »Der Traum, den wir beide geträumt haben. Er wird wieder passieren.«
    Ich schüttelte den Kopf. Es war die erste Bewegung, seit ich aufgewacht war, und sie war sehr heftig.
    »Nein«, sagte ich und meine Stimme

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