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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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schnitt so scharf durch den Raum, dass die Katze erschrocken vom Bett sprang und durch die Tür verschwand. »Nein! Weil wir es verhindern werden.«
    »Wir können es nicht verhindern, Rebecca.« Lucians Stimme blieb ruhig.
    »Was redest du da?« Ich setzte mich auf. »Natürlich können wir es verhindern! Wir bleiben hier. Hier ist kein Kronleuchter. Hier ist kein grüner Teppich. Das hast du selbst gesagt. Hier sind wir sicher.«
    »Es wird wieder passieren«, wiederholte Lucian tonlos.
    »Woher willst du das denn wissen?« Jetzt schrie ich. Verdammt, wie konnte er einfach hier liegen und mir so etwas sagen? Ich ballte die Fäuste. Am liebsten hätte ich auf seine Brust eingetrommelt. »Woher?«
    Lucian nahm mich in den Arm und zog mich zu sich herunter. »Rebecca«, flüsterte er irgendwo in meinem Haar. »Rebecca, hör mir zu, ja? Bitte. Hör mir zu.«
    Ich brachte es nicht über mich zu nicken.
    »Gestern, als wir auf diesem Berg standen und auf die Schwanzspitze des Sees geschaut haben«, flüsterte Lucian, »da hast du mich gefragt, ob ich mich an das erinnern könnte, was ich gewesen bin. Ich sagte dir, ich könnte mich nicht mit dem Kopf erinnern, aber ich würde es fühlen. Und so ist es auch. Ich fühle, wo ich herkomme, Rebecca. Und ich fühle, dass das, was geschehen ist, wieder passieren wird. Ich habe nur keine Worte dafür und deshalb kann ich es dir nicht erklären.«
    Er rückte ein Stück von mir ab, damit er mir ins Gesicht schauen konnte. Seine Wangenknochen traten noch stärker hervor als sonst. »Ich habe keine Worte dafür. Aber ich fühle, dass es geschehen ist. Erklären kann ich es dir nicht.«
    Ich zog an dem Zipfel der Bettdecke und zwirbelte ihn zu einer engen Spirale zusammen, bis meine Haut an den Fingern brannte.
    »Versuch es«, sagte ich. »Bitte. Versuche es wenigstens!«
    Lucian setzte sich jetzt auch auf und lehnte seinen Kopf an die Wand. Er sah erschöpft aus. »Du hast mir gestern von diesem Mädchen erzählt«, erwiderte er. »Dem Mädchen am Strand mit den roten Haaren, das Kindermädchen deiner kleinen Schwester.«
    »Faye«, murmelte ich.
    »Ich habe heute Nacht wieder von ihr geträumt.«
    Lucians Hände lagen auf seinem Schoß, mit den Handflächen zur Zimmerdecke gewandt. Er betrachtete sie nachdenklich. »Wir saßen mit ihr am Strand, aber diesmal war noch jemand dabei. Ein kleines Mädchen mit blonden Locken.«
    »Val«, sagte ich. »Sie ist meine kleine Schwester.«
    Lucian nickte, fast beiläufig, er starrte unverwandt auf seine Hände. »Sie saß auf Fayes Schoß und zupfte ihr an den roten Haaren. Plötzlich hat sie Faye gefragt: ›Wenn ich mal sterbe, bin ich dann allein?‹ Faye hat deine Schwester angelächelt. Sie sagte: ›Nein. Das bist du nicht.‹ Dann hat sie zu dir geschaut, zu dir und mir. Sie sagte: ›Du bist nie allein. Es ist immer jemand bei dir.‹«
    Unsere Blicke trafen sich, verkrallten sich ineinander und versuchten, einander festzuhalten.
    »Als Faye ihre Hand hob, um sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen«, fuhr Lucian fort, »sah ich ihre Handflächen und es war genau, wie du es mir gestern Nacht erzählt hast. Faye hatte keine Handlinien und ich wusste, dass sie kein Mensch war, sondern . . . wie ich. Aber sie hatte niemanden an ihrer Seite.«
    Lucian nahm meine Hand und fuhr mit seinen Fingerspitzen die feinen Linien nach.
    »Was ist mit Fayes Menschen passiert?«, fragte er leise.
    Gequält stöhnte ich auf. Ich wollte das hier nicht. Ich wollte, dass alles so blieb, wie es war.
    Ich erzählte es ihm trotzdem. Ich erzählte, wie Faye und Finn aus dem Haus gelaufen waren, bevor es in Flammen aufging. Sie hatten überlebt. Das betonte ich trotzig. Lucian strich mir mit der Fingerkuppe über die Wange.
    »Und dann?«, fragte er sanft.
    »Dann sind sie zusammengeblieben«, sagte ich.
    »Wie lange?«, fragte Lucian.
    Ich biss mir auf die Lippen. »Zehn Jahre«, murmelte ich. Es kam mir vor, als hätte ich zehn Minuten gesagt.
    »Und was ist dann geschehen?«
    Ich schloss die Augen. »Finn wurde krank«, flüsterte ich. »Faye wollte einen Arzt holen. Als sie zurückkam, war Finn tot.«
    »Und Faye blieb allein zurück.« Lucian sprach diesen Satz nicht als Frage aus.
    »Ja«, gab ich zu. Mir war übel. Ich wollte nicht an Finn und Faye denken. Ich wollte nicht an den Tod denken. Ich wollte überhaupt nicht denken. Ich wollte die Bettdecke über uns beide ziehen und mir wünschen, dass wir darunter verschwänden, für immer und

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