Lucian
Handynummer noch die seiner Bandmitglieder und seinen Nachnamen wusste ich auch nicht.
Wieder probierte ich es auf Suses Handy und merkte, wie ich weggedrückt wurde. Ich nahm es Suse nicht übel, im Gegenteil, ich hatte es verdient, aber ich gab nicht auf. Ich hinterließ eine weitere Nachricht auf ihrem Handy, das mittlerweile abgeschaltet war, um es dann noch ein weiteres Mal – vergeblich – auf ihrem Festnetz zu versuchen.
Zu Hause wedelte mir Spatz mit ihrem Glücksschwamm entgegen und erzählte mir irgendetwas von Obamas gewonnener Präsidentschaftswahl, aber ich registrierte gar nicht, was sie sagte. Selbst als Janne in mein Zimmer kam, die sich freundlich nach meinem Tag erkundigte und ganz offensichtlich keinen Verdacht geschöpft hatte, fühlte ich nichts. Ich dachte nicht mal an Lucian. Ich teilte meiner Mutter mit, dass ich einen guten Tag gehabt hätte, jetzt allerdings jede Menge Hausaufgaben erledigen musste, und hörte dabei nicht auf, an Suse zu denken – daran, dass ich mich bei ihr entschuldigen wollte, daran, dass ich sie zurückgewinnen musste. Ich schrieb ihr eine Mail und legte mir im Bett stundenlang die Worte zurecht, die ich ihr morgen früh vor der Schule sagen würde.
Am nächsten Tag war ich eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn da, aber ich konnte Suse nicht vor dem Klassenzimmer abfangen, denn als sie aufkreuzte, hatte der Unterricht schon begonnen.
Sie sah grauenhaft aus. Ihre Augen waren total verquollen, ihr Gesicht war aufgedunsen und gerötet. Zwei Mädchen aus meiner Klasse, Vanessa und Zoe, stürzten sich sofort auf sie. Sebastian war immer noch krank und Suse setzte sich auch heute wieder an seinen Platz, ohne mich eines Blickes zu würdigen. In den Pausen sprintete sie aus dem Klassenzimmer und kam so knapp zurück zum Unterricht, dass mir keine Möglichkeit blieb, mit ihr zu sprechen.
In der letzten Stunde hatten wir Chemie und machten ein Experiment, für das wir in Zweiergruppen eingeteilt wurden. Frau Steinmeyer, unsere Chemielehrerin, nannte es »Gummibärchen im flammenden Inferno«. Bei der Gruppeneinteilung blieben nur noch Sheila und ich übrig. Genervt setzte ich mich neben sie auf die Bank, streifte mir die Schutzhandschuhe über und zog die Schutzbrille auf.
»Seh ich auch so bescheuert aus wie du?«, fragte Sheila, als sie mich durch gelb getönte Gläser ihrer Brille anglotzte. Ich zog es vor, nicht zu antworten. Stattdessen spannte ich das Reagenzglas in das Stativ und füllte die angeordneten fünfzehn Gramm Kaliumchlorat hinein. Sheila schob mir die mit Löschsand gefüllte Blechbüchse zu, für den Fall, dass das Glas bei der Reaktion durchschmelzen sollte.
»Jetzt das Gummibärchen?«, fragte sie.
»Nein, das kommt später. Erst müssen wir das Zeugs hier schmelzen«, gab ich zurück, stellte den Bunsenbrenner bereit und drückte Sheila das Feuerzeug in die Hand. »Hier. Zünd an.«
»Geht nicht.« Sheila machte mehrere Versuche, fummelte an dem Feuerzeug herum und schüttelte es. »Versuch du es mal«, sagte sie schließlich.
Ich nahm das Feuerzeug, klickte auf den Anzünder und schrie auf, als eine riesige Stichflamme in die Höhe schoss.
»Oh nein!«, kreischte Sheila hysterisch. »Oh nein, oh nein . . .«
Meine Haare hatten Feuer gefangen. Jetzt kreischten auch die anderen los, während ich die brennende Strähne zwischen meine Hände nahm und wie eine Wilde daraufschlug, um das Feuer zu ersticken. Zum Glück hatte ich die Schutzhandschuhe an. Es stank entsetzlich, aber das Feuer ließ sich bändigen. Nach wenigen Sekunden war der Spuk vorbei. Meine Lehrerin und Suse waren zeitgleich bei mir. Suse nahm mich in den Arm, während Frau Steinmeyer kreidebleich nach meinem Befinden fragte.
»Ich bin okay«, murmelte ich. »Bin okay.«
Ich griff an die Stelle, wo bis eben noch meine Haare gewesen waren.
Sheila stand in der hintersten Ecke des Klassenzimmers. Sie hatte ihre langen schwarzen Locken um ihr Handgelenk geschlungen. Ihr Blick war betroffen, aber das gehässige Zucken um ihre Mundwinkel entging mir nicht. Suse offensichtlich auch nicht. Angestrengt starrte sie von Sheila zu mir.
»Hat jemand Hunger auf Gummibärchen?«, kam es von Aaron. Er grinste mich an, aber es war ein freundschaftliches Grinsen.
»Klar«, sagte ich. »Ich denke mal, das flammende Inferno hatten wir jetzt auch so.«
In Richtung Sheila gewandt, sagte ich: »Na, möchtest du das Feuerzeug nicht zurück? Es funktioniert blendend.«
Sheila presste die Lippen
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