Lucian
das Mädchen zu verstören. Gehen Sie ihr aus dem Weg.«
»Das ist leichter gesagt als getan.« Lucian klang wütend.
»Dann geben Sie sich Mühe«, sagte Janne eindringlich. »Bevor wir nicht wissen, was mit Ihnen ist, sollten Sie sich niemand anderem anvertrauen als mir.«
»Was ist mit Ihnen?« Da war so viel in seiner Stimme, Unsicherheit, Zorn, Misstrauen.
»Was meinen Sie?« Janne ließ nicht locker, jetzt kämpfte sie.
»Kann ich Ihnen vertrauen?«
»Ja.« Plötzlich war Janne total ruhig. »Ja. Das können Sie.«
Jetzt war es Lucian, der sich räusperte. »Ich brauche einen Namen«, sagte er. »Mir ist jetzt einer eingefallen. Ich werde mich Lucian nennen.«
»Wie sind Sie darauf gekommen?« Ich hörte ein Rascheln.
»Ich gehe jetzt«, sagte Lucian. »Danke, dass Sie das für mich machen. Ohne Geld und alles, meine ich.«
»Gerne. Ich möchte Ihnen helfen. Und das werde ich auch, Lucian. Wie wäre es mit Samstag, den 25.? Wieder um siebzehn Uhr?«
»Okay.«
Es metallisches Knacken ertönte. Janne hatte ausgeschaltet.
Mein Gehirn schien ebenfalls abzuschalten. In meinem Kopf drehte sich alles, ich war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Dafür verspürte ich einen jähen Impuls, etwas zu zertrümmern, das Janne gehörte.
Gehen Sie ihr aus dem Weg . Das war nicht der Rat einer Psychologin, sondern der einer Heuchlerin. Und scheißegal, ob Janne mich damit schützen wollte oder nicht. Sie hatte mich wissentlich getäuscht! Warum sich Lucian mir gegenüber so zurückgehalten hatte, war mir jetzt natürlich auch klar. Was hatte Janne ihm sonst noch geraten? Was hatte sie sonst noch aus ihm herausgelockt?
Ich warf einen hektischen Blick auf die Uhr. Fünf nach zehn. Janne konnte jeden Augenblick hier sein. Aber ich wollte noch mehr hören, ich konnte jetzt nicht von hier verschwinden.
Ich spulte ein Stück vor, drückte wieder auf Play und platzte mitten in die nächste Aufzeichnung.
»Ich weiß jetzt ihren Namen«, hörte ich Lucian sagen. »Sie heißt Rebecca.«
»Woher wissen Sie das?« Jannes Stimme klang auffallend neutral. Mir kam es vor, als hätte sie aus irgendeiner Quelle Kraft und Ruhe geschöpft.
»Ich habe sie gestern Nacht an der Elbe getroffen.«
»Sie waren verabredet?«
Leises Lachen. »Nein. So würde ich es nicht nennen. Sie kam, mich . . . besuchen.«
»Rebe. . .« Janne schluckte den Rest meines Namens herunter und fing sich wieder. »Sie wusste, dass Sie dort waren?«
»Nein. Sie wusste es nicht, aber sie kam zu mir. Wir haben gesprochen.«
»Worüber?« Janne machte eine Pause. »Haben Sie ihr etwas erzählt?«
»Nicht viel. Nichts von den Träumen. Nur von meiner . . . Amnesie?«
»Ja. Und? Was hat sie gesagt?« Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Wie freundlich und teilnehmend und gleichzeitig professionell Janne klang.
Aber Lucian antwortete nicht auf ihre Frage. »Es macht mir Angst«,hörte ich ihn stattdessen sagen. »Wie kann ich all diese Dinge über sie wissen und gleichzeitig nicht wissen, wer ich bin? Und warum habe ich ständig dieses Gefühl, dass ich gefährlich bin?«
Ich schielte auf die Uhr. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Zehn nach zehn. Jeden Moment konnte Janne vom Arzt kommen. Ich spulte weiter und drückte wieder auf Play .
» . . . sagte etwas von einem Maskenball. Dort wollte sie mich treffen. Dann kamen ihre Leute.«
Ich spulte ein ganzes Stück vor. Mein Herz raste wie verrückt. Viertel nach zehn. Es war allerhöchste Zeit, hier zu verschwinden. Ich drückte auf Play.
» . . . sie nannte ihn Sebastian. Er war als Kaninchen verkleidet.« Lucian lachte sein leises, raues Lachen. »Ein wütendes Riesenkaninchen. Er drohte mir mit der Polizei. Und das Mädchen neben ihm kannte ich auch. Sie . . .«
Ich spulte weiter. An der Stelle, an der ich Play drückte, schien etwas mit dem Band nicht in Ordnung zu sein. Es rauschte, sodass einzelne Satzteile verschluckt wurden.
Ich verstand:
» . . . wieder von ihr geträumt . . . älter, so wie . . . kürzer . . . Pony. Rebecca ging neben mir . . . Wendeltreppe . . . Frau. Dünn, kurze Haare. Hübsch. Sie hielt . . . blau-weiß gestreift . . . drehte sich zu uns um. Blass . . . Sekunde starrte sie Rebecca . . . sagte: Er ist tot. John Boy ist tot.«
Ich konnte nicht weiter. Ich schaltete das Gerät aus und stand auf,
um das Fenster zu schließen. Dann sah ich das Taxi. Es hielt direkt vor der Praxis. Heraus stieg mühsam eine Frau auf Krücken.
VIERZEHN
Als sich der Schlüssel im Schloss
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