Lucky - Nur eine Frage der Zeit
würde niemals zulassen, dass er in eine solche Situation geriet wie Blue jetzt. Er würde niemals heiraten. Nie, nie, niemals kam eine Ehe für ihn infrage. Das war all die Jahre sein Mantra gewesen, mit dem er sich gegen jede Form von Bindung wehrte, aber jetzt hatte es eine besondere Bedeutung gewonnen.
Er wollte nicht mit dieser Angst leben, die aus der Liebe zu einem anderen Menschen erwuchs. Er wollte das einfach nicht, verdammt noch mal!
Aber schau dich doch an!
Nicht nur dein Mitgefühl für Blue ist schuld, dass du dich vollkommen auflöst! Kein ganz kleiner Teil der Gefühle, die diese dumme Tränenflut hervorbrachten, bestand aus ebendieser grässlichen Angst, die ihm die Luft abschnürte und den Atem nahm.
Der Gedanke, Syd könne auch nur eine einzige Sekunde dem Mann ausgeliefert sein, der Lucy misshandelt hatte, trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. Der Gedanke, sie könne so zusammengeschlagen werden, dass sie ins Koma fiel, erschreckte ihn zutiefst.
Aber der Gedanke, Syd könne sich einfach aus seinem Leben verabschieden, wenn sie den Vergewaltiger von San Felipe gefasst und hinter Gitter gebracht hatten, erschreckte ihn fast genauso sehr.
Er liebte sie.
Nein! Großer Gott, woher war dieser Gedanke gekommen? Eine Überdosis irgendeines bizarren Hormons, das durch seinen emotionalen Aufruhr ausgeschüttet worden war.
Lucky atmete tief ein und löste sich aus Syds Armen. Er liebte sie nicht! Schon die Vorstellung war verrückt. Er war Lucky O’Donlon! Er liebte nicht, niemals.
Er trocknete sich die Augen, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, angelte eine Serviette aus dem Serviettenhalter auf dem Küchentisch und putzte sich die Nase. Dann knüllte er die Serviette zusammen und warf sie in den Mülleimer an der gegenüberliegenden Wand. Volltreffer. Er lehnte sich erschöpft mit dem Rücken an die Küchenschränke, wieder ganz der alte Lucky.
Nein, er liebte sie nicht. Er war nur ein bisschen durcheinander, nichts weiter. Zur Sicherheit würde er erst einmal ein wenig Abstand halten, bis er genug Schlaf bekommen hatte, um wieder klar denken zu können.
Er begehrte sie heftig, aber jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um diesem Begehren nachzugeben. So gern er sich in wildem Liebesspiel entspannt und fallen lassen hätte, um danach Vergessen im Schlaf zu suchen, das konnte und wollte er sich jetzt nicht erlauben.
Andererseits bot sich ihm jetzt die Chance, die Situation auszunutzen, Syd zu überrumpeln. Vorausgesetzt, dass sie sich überrumpeln ließ, nachdem er ihr vor Augen geführt hatte, was für ein Schwächling er in Wirklichkeit war.
Syd saß schweigend neben ihm. Er schaffte es nicht einmal, sie anzusehen, brachte aber immerhin ein entschuldigendes Lächeln zustande: “Mist, es tut mir leid.”
Er fühlte mehr, als dass er es sah, dass sie sich ihm zudrehte und sich vor ihn kniete.
Und dann berührte sie ihn. Ihre Finger glitten kühl über sein glühendes Gesicht, als sie ihm sanft das Haar aus der Stirn strich. Endlich hob er den Blick und schaute sie an. Genau genommen konnte er gar nicht anders, denn sie hatte sich vorgebeugt, und ihr Gesicht schwebte nur Zentimeter vor seinem.
Ihre Augen leuchteten so warm, dass er die Lider senken musste, weil ihm schon wieder die Tränen zu kommen drohten.
Deshalb sah er nicht, wie sie sich noch etwas näher beugte. Und ihn küsste.
Sie küsste ihn.
Hier in seiner Küche, wo niemand zusah, wo niemand sie sehen konnte.
Es war so ein süßer, sanfter Kuss. Ihre Lippen berührten die seinen leicht wie eine Feder. Seine Knie wurden noch ein bisschen weicher, und er war froh, dass er bereits saß.
Sie küsste ihn noch einmal, und diesmal war er darauf vorbereitet. Diesmal küsste er sie wieder, fing ihren Mund ein, so sanft und vorsichtig wie nur irgend möglich, berührte ihre Lippen mit der Zungenspitze und schmeckte das Salz seiner eigenen Tränen darauf.
Er hörte sie aufseufzen und küsste sie noch einmal, länger, tiefer. Sie öffnete ihm ihren Mund. Langsam und vorsichtig trafen sich ihre Zungen, und Lucky warf alle eben noch gefassten Vorsätze über Bord. Alles, womit er gerade erst versucht hatte, sich selbst davon zu überzeugen, dass ein wenig Abstand zwischen ihnen angebracht wäre, flog einfach aus dem Fenster.
Zur Hölle mit seinem Gefühlswirrwarr! Er mochte Gefühlswirrwarr, ach was, er liebte Gefühlswirrwarr! Wenn das hier Gefühlswirrwarr war, dann wollte er verdammt noch mal mehr davon.
Er griff nach
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