Lucy im Himmel (German Edition)
zurückfahren«, konterte ich schließlich so entrüstet wie möglich.
»Soso. Davor hattest du also Angst.« Gabriel musterte mich eindringlich. »Und das soll ich dir glauben?«
»Natürlich!«, entgegnete ich im Brustton der Überzeugung.
»Ich hatte eher den Eindruck, dass es dir gar nicht so ungelegen käme, wenn sich dein Aufenthalt auf der Erde ein bisschen verlängern würde – ich meine gezwungenermaßen. Was hättest du denn gemacht, wenn Engel Manuel schon weggewesen wäre?«
Allmählich dämmerte mir, worauf Gabriel hinauswollte: Er unterstellte mir, dass ich absichtlich zu spät aufgekreuzt war. Ich schüttelte entschieden den Kopf. Wenn er schon Gedanken las, sollte er es wenigstens richtig tun. Ich möchte zurück, aber nur, weil es da unten für mich noch so viel zu tun gibt , dachte ich.
»Aha, dann liege ich also gar nicht so falsch. Es wäre mir aber lieber, wenn du mit mir reden und nicht nur denken würdest, Lucy.«
»Okay. Also, die achtundvierzig Stunden waren definitiv zu kurz. Mein Mann kommt einfach noch nicht allein zurecht. Ich schätze, in ein bis zwei Wochen dürfte ich ein ganzes Stück weiter sein.«
Gabriel hob überrascht die Augenbrauen. Mit solch einer Dreistigkeit hatte offenbar nicht einmal er gerechnet. Doch dann schüttelte er den Kopf. »Das geht nicht, Lucy. Ich kann dich ohne Engelsausbildung nicht so lange unbeaufsichtigt auf die Erde lassen.«
»Aber du beobachtest mich doch die ganze Zeit. Damit stehe ich doch quasi unter einer Rund-um-die-Uhr-Kontrolle.«
»Ja, und was meinst du, was hier bei mir in der Zeit alles liegengeblieben ist?«
»Ich dachte, du bist multitaskingfähig?!«
Einen Moment lang fürchtete ich, ich sei zu weit gegangen, aber dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Mit einem Seufzen schüttelte er erneut den Kopf.
»Ich habe in den zwei Tagen einiges bei Gregor bewirkt. Heute ist er zum Beispiel mit Freunden klettern gegangen. Fast ganz freiwillig. Ich musste nur ein klitzekleines Bisschen nachhelfen«, flunkerte ich. »Aber die Sache mit meinem Tod sitzt einfach viel zu tief. Er hat noch nicht einmal meine Sachen aussortiert, mein Bett ist nach wie vor bezogen, und seinen Ehering trägt er auch noch. Er braucht wirklich Hilfe.«
»Deine Hilfe?«
Ich nickte. »Ich will ihm ein gutes Gefühl geben, wenn er sich von meinen Kleidern und dem ganzen Kram trennt.«
»Und du bist dir sicher, dass es nicht vielmehr so ist, dass du mitbestimmen möchtest, was damit passiert?«
Ich wurde rot.
»Ich meine, wenn es dir nur darum ginge, dass dein Mann endlich alles rauswirft, dann hättest du ihn doch gestern Nachmittag dazu animieren können.«
Nun spielte ich meine größte Trumpfkarte aus: »Wie hätte ich denn innerhalb von achtundvierzig Stunden all das bewerkstelligen sollen, was deine Engel in einem Jahr nicht geschafft haben?«
Er schwieg.
»Außerdem dachte ich, ich könnte mich in den zwei Wochen auch ein bisschen um Gregors Liebesleben kümmern.«
»Genau das habe ich die ganze Zeit befürchtet«, seufzte Gabriel. »Lucy, du darfst dich keinesfalls einmischen. Das Orakel hat alles genau vorherbestimmt. Da hat weder ein Mensch noch ein Engel drin rumzupfuschen.«
»Aber das will ich doch gar nicht!«
»Und wie war das mit der Sekretärin deines Mannes?«
»Ach«, winkte ich ab, »was interessiert mich mein Tun von vorgestern? Mittlerweile bin ich viel lockerer. Gestern am Dechsendorfer Weiher habe ich Gregor zum Beispiel mit seinem Kollegen ganz allein einen Kaffee trinken gehen lassen. Da hätte er ja auch seiner Traumfrau begegnen können.«
»Hmm-mmh. Und heute Morgen hast du es natürlich auch gern gesehen, als der Kollege eine junge, hübsche Frau –«
»Aber darum geht es doch gar nicht! Irgendjemand muss Gregor erst einmal davon überzeugen, dass er wieder mehr aus sich macht. Dass er nicht mehr diese schwarze Trauerkleidung anzieht, dass er sich regelmäßig rasiert und seine Haare stylt. Lauter solche Dinge. Außerdem dachte ich, es würden ihm guttun, wenn ich bei seinen ersten Dates dabei bin und ihn animiere, sich wohlzufühlen und zu entspannen. Es wäre doch ein schrecklicher Rückschlag, wenn er endlich mit einer Frau weggehen, ihn dann aber das schlechte Gewissen
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