Lucy im Himmel (German Edition)
nicht los, dass Gabriel ein Chef war, dem man Fakten präsentieren musste. Insbesondere, wenn man ihm später vielleicht eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus den Rippen schneiden wollte.
Plötzlich gab es unter mir ein knirschendes Geräusch und mein rechter Fuß hing fest. Der Pfennigabsatz hatte sich in einer schmalen Ritze zwischen zwei Pflastersteinen verfangen. Schnell schlüpfte ich aus dem Schuh und versuchte, ihn vorsichtig herauszuziehen. Keine Chance: Er saß bombenfest. Ich mühte mich ab wie eine Besessene, aber er rührte sich keinen Millimeter.
Was sollte ich tun? Ihn einfach stecken lassen? Gabriel konnte ich wegen einer solchen Lappalie nicht anrufen. Er würde mich allenfalls zurechtweisen, dass derlei davon kam, wenn man nicht mit den obligatorischen weißen Badelatschen unterwegs war.
»So ein Mist«, schimpfte ich laut vor mich hin. »Wer hat denn auch dieses vermaledeite Kopfsteinpflaster erfinden müssen?!«
»Falls Sie jetzt den Namen von irgendeinem Typen hören wollen, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Aber Reste von Pflasterflächen in Mesopotamien lassen darauf schließen, dass diese Technik bereits um das Jahr 4000 vor Christus angewandt wurde«, nuschelte eine Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum. Auf einer verwitterten Bank zwischen den Grabsteinen saß sie: Die Nasenflügelglitzerfrau. Die Dame, wegen der Gabriel mich zurück auf die Erde gelassen hatte. Auch heute zog der kleine Stein in ihrer Nase meinen Blick magisch an.
»Kein Grund, mich so böse anzustarren. Ich bin keine Wegelagerin! Aber das habe ich Ihnen gestern schon erfolglos beizubringen versucht.«
Sie hatte mich also ebenfalls wiedererkannt. Ich musste an das denken, was der Erzengel mir über sie gesagt hatte: Das Orakel hatte ihr ein Schicksal bestimmt, in dem ich eine Rolle spielte. Na, dann wurde es doch Zeit, dass wir uns kennenlernten. Ich riss mich zusammen und versuchte, ein möglichst freundliches Lächeln aufzusetzen.
»Entschuldigung, ich wollte Sie nicht böse anschauen. Und wegen gestern möchte ich mich auch noch ganz ausdrücklich bei Ihnen bedanken. Sie haben mir quasi das Leben gerettet.«
»Schon gut.« Sie stellte ihr kleines schwarzes Netbook zur Seite, das sie bisher auf den Oberschenken balanciert hatte. Dann stand sie auf, kam zu mir herüber, bückte sich, rüttelte sanft an meinem Schuh, bis er sich aus der Ritze ziehen ließ und hielt ihn mir hin. Der Absatz war zwar nicht gebrochen, hatte aber zwei unübersehbare Schrammen.
»Puh, der hat auch schon mal besser ausgeschaut«, entfuhr es mir unwillkürlich.
»Ein einfaches ›Danke‹, hätte völlig genügt.«
Ich wurde puterrot. Mein Gott, wo war nur meine gute Kinderstube geblieben? »Entschuldigung. Vielen herzlichen Dank. Sie scheinen so etwas wie mein rettender Engel zu sein« stammelte ich schließlich und hätte mich dafür am liebsten geohrfeigt. Die Gute sah mit ihren in alle Richtungen abstehenden, pechrabenschwarzen Haaren und ebensolcher Kleidung eher nach dem genauen Gegenteil aus.
»Nee, lassen Sie mal, mit Engeln habe ich es nicht so. Ich koaliere eher mit dem Teufel«, sagte sie prompt.
Konnte das sein? Wenn es Engel gab, existierte dann auch der Teufel? War sie am Ende eine Mitarbeiterin von der Konkurrenz? Hatten die vielleicht Scheinidentitäten, die nicht einmal Erzengel durchschauten? Plötzlich klingelte mein Handy.
»Lucy«, stöhnte Gabriel. »Was fantasierst du denn nun schon wieder zusammen?! Du hast eindeutig zu viele amerikanische Spielfilme mit Verschwörungstheorien gesehen. Sei einfach ein bisschen nett zu dem Mädchen und denk daran, dass du ihr Schicksal beeinflusst.« Damit legte er auf.
Ich wandte mich wieder der Frau zu. »Darf ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen?«
Sie nickte und rutschte ein Stück zur Seite, um mir auf ihrer Bank Platz zu machen.
»Wenn Sie weder Engel noch Teufel sind, was sind Sie denn dann?«
»Krimi-Autorin. Bea Middelhauve.«
»Wow!«, entfuhr es mir unwillkürlich. Ich hatte noch nie einen Menschen kennengelernt, der Bücher schrieb. »Das ist ja –«
Aber sie winkte gleich ab. »Das ist alles andere als cool.«
»Warum?«
»Probleme hinten und vorne!«
»Und was machen Sie auf dem Friedhof?«
»Arbeiten«,
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