Lucy im Himmel (German Edition)
antwortete sie lakonisch. »Hier lenkt mich wenigstens niemand ab. Zu Hause komme ich einfach zu nichts. Ständig schellt das Telefon. Das kennen Sie doch auch, oder?« Sie hielt inne, dann fragte sie: »Und Sie? Wie heißen Sie überhaupt?«
»Ich bin Lucy.« Für mich war es mittlerweile völlig normal, nur den Vornamen zu sagen – im Himmel benutzte niemand den Nachnamen.
»Und was arbeiten Sie?«
»Ich ... ähm ...«, ich biss mir auf die Lippen. Was sollte ich antworten? Ich konnte ihr ja wohl kaum anvertrauen, dass ich bis zu meinem Tod Zollbeamtin gewesen war und mich der Erzengel nun höchstpersönlich in geheimer Mission auf die Erde zurückgeschickt hatte. Zögerlich entschied ich mich daher für ein Schlichtes: »Im Moment befinde ich mich zwischen zwei Jobs.«
»Ach, das tut mir leid, dass Sie arbeitssuchend sind. Aber wissen Sie, deshalb müssen Sie sich nicht schämen. Ich habe viele Freunde, die nichts Passendes finden.«
Ich riss erschrocken die Augen auf. So hatte ich das nun auch wieder nicht gemeint.
»Wollen wir Du sagen?«, fragte mich mein Gegenüber, offenbar bemüht, das Thema zu wechseln.
Ich nickte.
»Hast du Lust, einen Latte Macchiato mit mir trinken zu gehen? Drüben im Dampfnudelbäck? Du bist natürlich eingeladen«, fügte sie schnell hinzu. Offenbar hatte sie mein neuerliches Erschrecken bemerkt und die Infos, die sie über mich zu haben glaubte, so gedeutet, dass ich es mir nicht leisten konnte, sie in ein Lokal zu begleiten. Was sollte ich tun? Ich hätte gerne etwas mit ihr getrunken, aber in ein Café konnten wir nicht gehen. Das war ganz und gar unmöglich. Schließlich war ich für den Rest der Menschheit unsichtbar.
»Oder ist es wegen meinem Aussehen?«, fragte sie nach einem Augenblick, als ich noch immer nicht geantwortet hatte. »Hast du ein Problem damit, dich mit jemandem in der Öffentlichkeit zu zeigen, der ein Nasen-Piercing trägt?«
Ich schüttelte schnell den Kopf. »Das kleine Strass-Steinchen steht dir ganz hervorragend.«
»Das ist kein Strass, das ist ein Diamant!«
»Oh! Entschuldige bitte. Ich kenne mich da nicht so aus. Aber wenn ich jünger wäre, würde ich mir glatt überlegen, ob ich mir nicht auch ein Piercing zulegen sollte.«
»Was hat das denn mit dem Alter zu tun?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Mit fast vierzig gehört sich so etwas einfach nicht mehr. Das ist was für Jüngere. Jedenfalls steht es dir sehr gut. Es passt auch prima zu deinen schwarzen Haaren.«
»Musst du dir deine auch ständig nachfärben, damit man das Grau nicht sieht?« Sie musterte meine lange kupferfarbene Lockenmähne.
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist alles Natur pur.«
»Du Glückliche! Wenn ich meine nicht färben würde, würde jeder denken, ich stünde kurz vor der Rente.«
Ich lachte laut auf. »Also ich kenne kein Land, in dem man mit dreißig in Rente gehen kann. Wie alt bist du denn? Achtundzwanzig? Neunundzwanzig?«
»Fünfunddreißig.«
Ich musste schlucken. Sie war nur vier Jahre jünger als ich. Da hatte ich mich gewaltig verschätzt. Wieder bimmelte die Kirchenglocke. Ich schaute auf. Wenn ich vor Gregor zu Hause sein wollte, musste ich mich allmählich auf den Weg machen.
»Ich sollte dann mal wieder. Mein Mann wartet sicher schon.«
»Oh. Schade.« Beas Schultern sackten nach unten. »Ich hätte gerne noch einen Latte Macchiato mit dir getrunken.«
»Das machen wir ein andermal, einverstanden?«
Sie nickte freudlos. Offenbar sah sie in meinem Vertrösten nur eine Floskel, die man sagt, um einen schnellen Abgang hinlegen zu können. »Wenn du Lust hast, komme ich dich mal besuchen. Ich wollte nämlich schon immer sehen, wie eine Schriftstellerin so lebt.«
»Wirklich?«
Ich nickte. Bea zog eine Visitenkarte aus ihrem Rucksack und gab sie mir. Sie wohnte gar nicht weit vom Friedhof entfernt, gleich in der Johannisstraße. Hätte ich das früher gewusst, hätte ich ihr vorschlagen können, den Kaffee bei ihr zu trinken.
»Wie schaut es bei dir am Montagvormittag aus?«, fragte sie.
Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, das spontan zu entscheiden, aber in ihrer Stimme schwang wieder diese unterschwellige Frage mit, ob ich es tatsächlich ernst meinte. Daher nickte ich.
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