Lucy im Himmel (German Edition)
Montagvormittag war Gregor in der Arbeit und würde sicher ein paar Stunden auf mich verzichten können.
Neuntes Kapitel
In dem Lucy eine Kletterpartie unternimmt
Sobald ich wieder zu Hause war, holte ich mir Stift und Notizblock und ging auf die Terrasse. Einen Augenblick spielte ich mit dem Gedanken, mich zum Sonnenbaden auszuziehen. Da ich unsichtbar war, konnten sich meine Nachbarn nicht an meinem Anblick ergötzen. Dann fiel mir allerdings ein, dass das nicht für Gabriel galt – und ihm mochte ich mich nun nicht unbedingt im Eva-Kostüm präsentieren.
Also legte ich mich, wie ich war, auf eine Liege und notierte eine Liste mit all den Aufgaben, die mein Göttergatte und ich in Angriff nehmen mussten. Meine Kleider weggeben, seine Trauerklamotten in den hintersten Winkel verbannen, den Spiegelschrank im Bad ausmisten, mein Zimmer ausräumen und so weiter.
Das fröhliche Zwitschern der Vögel und die angenehme Wärme der Sonne auf meinem Körper lullten mich ein. Nach einer Viertelstunde fielen mir die Augen zu, und ich sank in einen leichten, oberflächlichen Schlaf.
»Mein Gott, bin ich wirklich schon so senil?«, schimpfte plötzlich eine Stimme in meinem Rücken. Dem Satz folgten ein schabendes Geräusch und ein Rums.
Schlaftrunken fuhr ich hoch. Gregor war zurückgekommen und hatte die offene Schiebetür entdeckt. Natürlich musste er glauben, dass er am Vormittag klettern gegangen war, ohne sie zugemacht zu haben. Seinen Ärger konnte ich durchaus nachvollziehen. Allerdings stand ich jetzt vor einem gehörigen Problem: Ich war ausgesperrt. Meine Handtasche lag nämlich samt Handy und Hausschlüssel auf dem Sofa. Großartig! Wie sollte ich zurück ins Haus kommen? Gegen die Scheibe klopfen und um Einlass bitten ging nicht. An der Haustür klingeln und dann schnell hineinschlüpfen, während er nachschaute, war ebenfalls ein No-Go. Wenn er jetzt auch noch glaubte, grundlos irgendwelche Geräusche zu hören, würde er am Ende ernsthaft an seinen mentalen Fähigkeiten zweifeln. Hm! Welche Alternativen gab es sonst noch?
Plötzlich begann über mir Wasser zu rauschen. Ich sah überrascht auf und hätte fast einen Freudensprung gemacht: Gregor hatte das Badezimmerfenster geöffnet, bevor er unter die Dusche gegangen war.
Jetzt musste ich nur noch irgendwie in den ersten Stock gelangen, bevor ich durchs Fenster in mein eigenes Haus einsteigen konnte. Ich schaute mich um. Am praktischsten wäre natürlich eine Leiter gewesen, aber wir hatten leider keine, die lang genug war. Damit blieb mir nur die Regentonne.
Notgedrungen schlüpfte ich nun doch noch aus Pumps, Rock und Strumpfhose, da sie meine Kletterpartie in den ersten Stock nur behindert hätten. Dann stieg ich auf den Rand der Regentonne, von der ich mich mit einem Zwischending aus missratenem Klimmzug und Felgaufschwung auf das Garagendach hievte. Anschließend hangelte ich mich an einem Rankgitter bis zum Schlafzimmerbalkon. So weit, so gut. Die eigentliche Herausforderung stand mir jedoch noch bevor: Das Badezimmerfenster befand sich einen halben Meter versetzt neben dem Balkon. Ich schaute nach unten. Dreieinhalb Meter freier Fall auf harte Terrassenfliesen. Wer würde mich finden, wenn ich abstürzte und mir ein Bein brach? Ich war schließlich unsichtbar! Und hören konnte mich auch niemand. Mir zitterten die Knie, als ich endlich all meinen Mut zusammen nahm, die Augen fest auf das offene Fenster heftete und über das Balkongitter krabbelte.
Wie ich es gemacht habe, weiß ich nicht mehr, ich schaffte es jedenfalls. Ohne mir eine Verschnaufpause zu gönnen, rannte ich hinunter ins Erdgeschoss, öffnete leise die Schiebetür und holte meine Kleider herein. Nachdem ich mich wieder angezogen und alle verräterischen Spuren beseitigt hatte, ließ ich mich aufs Sofa fallen. Mein Herz schlug mir noch immer bis zum Hals. Aber kaum hatte ich ein paar Mal tief durchgeatmet, schellte mein Handy.
»Na, hat dir die Kletterpartie Spaß gemacht, Lucy?«, tönte mir die Stimme entgegen, die ich nun schon ganze vier Stunden nicht mehr gehört hatte.
»Ganz und gar nicht!«
»Warum hast du deinem Mann dann nicht einfach suggeriert, dass er die Tür zum Lüften noch einmal aufmachen soll? Du hast ihn doch eine ganze Weile im Wohnzimmer beobachtet.«
Ich hätte am liebsten geschrien. Wegen meiner Blödheit. Auf die einfachste Lösung war ich
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