Lucy in the Sky
ich zurückkomme. Aber ich kann Molly nicht sagen, was ich wegen Nathan durchmache, weil ich immer noch befürchte, dass sie es nicht gut findet. Oder nur darüber lacht. Wie auch immer, sie würde meine Gefühle jedenfalls nicht ernst nehmen.
Und um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, wer sie überhaupt ernst nehmen würde. Meine Freunde in England schätzen James alle sehr. Er ist beliebt, er ist witzig, er sieht gut aus, er hat einen phantastischen Job … Wenn man alles gegeneinander abwägt, würde niemand, der noch seine fünf Sinne beisammen hat, verstehen, warum ich mich in einen Surfer ohne Job verliebe, der auch noch zwei Jahre jünger ist als ich. Das ist einfach verrückt! Aber ich kann nichts gegen meine Gefühle machen. Und ich weiß auch nicht, mit wem ich darüber reden könnte.
Vielleicht sollte ich es Molly doch erzählen. Vielleicht würde sie mich doch verstehen.
Nein. Ich kann nicht. Sie versteht es garantiert nicht.
»Molly! Lucy! Das Essen ist fertig!«
Wir nehmen unsere Gläser und machen uns auf den Weg ins Haus.
Später am Abend, nachdem wir erfolgreich eine zweite Portion von Sheilas Lammbraten abgelehnt haben, ohne sie zu beleidigen – eine große Herausforderung! – überlassen wir Mollys Eltern ihrer Fernsehsendung und gehen nach oben, um uns früh schlafen zu legen. Molly übernachtet in ihrem alten Zimmer, und ich habe das Gästezimmer ganz hinten. Aber nachdem wir uns die Zähne geputzt und uns abgeschminkt haben, besuche ich sie noch einmal und krieche zu ihr in das schmale Einzelbett.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du morgen heiratest.«
»Ich auch nicht.«
»Und dann ausgerechnet auch noch Sam!«
Sie schaut mich an und lächelt. »Irre, oder? Nach all den Jahren.«
»Ja, erstaunlich.« Seit der Junggesellinnenparty mache ich mir ein bisschen Sorgen, sie könnte denken, dass ich immer noch in ihn verliebt bin, aber ich hatte noch nicht den Mut, es anzusprechen. Jetzt höre ich mich sagen: »Ich bin wirklich über ihn weg, weißt du.«
»Ja, das weiß ich.« Ganz offensichtlich meint sie das auch so. »Komisch«, fügt sie hinzu, »eigentlich hab ich immer gedacht, dass Sam mit dir zusammenkommt.«
»Nein!«
»Doch!«
»Das ist doch Unsinn.«
»Aber nein. Ihr beiden habt immer viel besser zusammengepasst als er und ich.«
»Na ja, Gegensätze ziehen sich eben an.«
Sie lacht. »Ja, so sieht’s aus.«
Wieder spiele ich mit dem Gedanken, ihr von Nathan zu erzählen. Aber irgendetwas hält mich zurück. Was für einen Sinn hätte es auch? Am Sonntag bin ich weg, und alles ist vorbei.
Einen Augenblick lang ist Molly ganz still, dann fragt sie abrupt: »Erinnerst du dich noch an deine letzte Nacht in Sydney?«
»Vor neun Jahren?«
»Ja.«
Wie hätte ich diese Nacht vergessen können? Es war am Australia Day, am 26 .Januar 1998 . Princess Diana und Michael Hutchence waren im Jahr davor gestorben, und zu ihrem Gedenken gab es ein Feuerwerk auf der Harbour Bridge. Rote, weiße und blaue, goldene, pinkfarbene, lila und grüne Funken regneten von der Brücke und erleuchteten den Himmel über dem Hafen. Selten hatte ich so ein Spektakel gesehen. Sam, Molly und ich waren zum Circular Quay gegangen und hatten auf den Fleet Steps einen Platz in der Menge gefunden, direkt vor den Toren des Botanischen Gartens auf der anderen Seite des Hafens. Genau genommen genau an derselben Stelle, wo morgen das Festzelt stehen wird, fällt mir jetzt ein. Da standen wir also, Molly und ich und Sam in unserer Mitte, und unsere Herzen wurden schwer, als wir Elton Johns »English Rose«-Version von »Candle in the Wind« und INXS ’ »Never Tear Us Apart« aus den vielen mitgebrachten Radios hörten. Mum und ich sollten in einem Hotel in Rocks übernachten, Molly und Sam mussten mit der Fähre zurück nach Manly. In Tränen aufgelöst umarmten wir uns, als wäre es das letzte Mal. Dann sah ich ganz allein zu, wie die beiden auf die Fähre gingen und mir vom unteren Deck zuwinkten, während das Schiff aus dem Hafen fuhr, eine große Kielwelle hinter sich herziehend.
Molly zögert, als überlegte sie, ob sie mir etwas sagen soll oder nicht.
»Warum fragst du?«, hake ich nach.
Doch sie schweigt. Geduldig warte ich, und schließlich sieht sie mich an.
»Ich glaube, Sam war in dich verliebt.«
»Was?«
Ich falle fast aus dem Bett.
»Ich glaube, dass er es erst gemerkt hat, nachdem du weggegangen bist.« Sie sieht traurig aus, und ich weiß nicht, was ich dazu sagen
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