Lucy in the Sky
rausgeholt, nur um seine krakelige Handschrift anzuschauen, aber bisher habe ich der Versuchung widerstanden, es anzuhören. Allerdings ziehe ich mich jedes Mal, wenn einer der Songs im Radio oder im Fernsehen kommt, ganz in mich selbst zurück. Ich kann nicht anders.
An einem Freitagabend Mitte Mai komme ich von der Arbeit zurück, und als ich in unseren Briefkasten schaue, erkenne ich Mollys schwungvolle Handschrift auf einem kleinen Päckchen. James ist noch nicht zurück, als ich in die Wohnung komme, und ich bin dankbar, dass ich Ruhe habe, um mir anzusehen, was Molly geschickt hat. Rasch reiße ich den Umschlag auf und ziehe ein paar Fotos heraus, zusammen mit einem Brief. Es sind Hochzeitsbilder!
Auf dem ersten stehen Molly, Andie und ich in unseren tollen Kleidern unter dem großen Eukalyptusbaum. Das nächste ist von Sam und Molly, wie sie mit ihren Champagnergläsern anstoßen. Sie lachen und strahlen einander an. Im Hintergrund sieht man das Opera House und die Harbour Bridge. Das letzte Bild zeigt Molly, Sam, Andie, Nathan und mich. Ich sinke aufs Sofa.
Er sieht so toll aus mit seinen dunklen, zerzausten Haaren. Auf dem Foto hat er die Krawatte noch nicht gelockert. Ich starre das Bild an. Ich starre ihn an. Endlich habe ich ein Foto von Nathan – etwas Reales. Aber wenn ich das Bild ansehe, spüre ich einen dumpfen Schmerz in meinem Innern. Ich vermisse ihn so.
Schließlich nehme ich mir Mollys Brief vor. Sie schreibt:
Hallo du!
Ich dachte, du hättest vielleicht gern ein paar Hochzeitsbilder. Entschuldige, dass es so lange gedauert hat, ich hab seit den Flitterwochen einfach den Arsch nicht hochgekriegt.
Ich liebe es, verheiratet zu sein. Einerseits ist es genau wie früher, andererseits irgendwie ganz anders. Wir wissen, dass wir jetzt zusammengehören, und zwar für immer. Und das ändert die Perspektive schon ein wenig. Tut mir leid, wenn das jetzt ein bisschen abgehoben klingt, aber es ist seltsam.
Sams Arbeit läuft gut …
Ich überfliege den Brief, ob ich irgendwo Nathans Namen entdecken kann. Ah, da ist er ja.
Nathan und Amy haben sich endgültig getrennt …
Was?
Sie hat ihn unter Druck gesetzt, und das wollte er nicht mitmachen, also musste er ausziehen. Es war natürlich schon ein kleines Drama. Eine Weile hat er bei uns gewohnt, aber Amy hat Tag und Nacht angerufen und stand unangekündigt vor der Tür. Schließlich ist ihr dann aber doch klar geworden, dass sie ihn loslassen muss. Nach all dem sind wir auch gar nicht mehr so sicher, ob sie wirklich die Richtige für ihn gewesen wäre. Du weißt ja, wie Nathan ist. Große Gesten kann er überhaupt nicht leiden. Jetzt hat er sich ein ziemlich runtergekommenes Häuschen ein paar Minuten vom Strand entfernt gekauft. Wir haben eine neue Hypothek auf das Haus aufgenommen, um ihm mit der Anzahlung zu helfen, aber das B &B-Geschäft läuft prima, also ist alles gut. Es wurde sowieso allmählich Zeit, dass er was vom Erbe seiner Eltern sieht. Sam ist begeistert, dass sein kleiner Bruder es sogar vernünftig anlegt. Zwar ist das Häuschen absolut nicht in Topzustand, aber er denkt, dass er es an den Wochenenden renovieren kann. Denn – du wirst staunen – er hat auch noch einen Vollzeitjob auf einer Baustelle gefunden.
Ich lasse den Brief sinken. Ich bin fassungslos. Und das ist noch stark untertrieben. Nach einer Weile lese ich den Rest, aber viel Neues erfahre ich dort nicht. Der größte Teil des Briefes ist Nathan vorbehalten, also muss das, was mit ihm passiert, Molly wohl ganz schön beschäftigen.
Er hat einen Job? Und mit Amy endlich Schluss gemacht? Sich ein Häuschen gekauft? Das sind doch eindeutig zu viele Zufälle auf einmal. Hat das alles vielleicht was mit mir zu tun? Einerseits kann ich es mir gar nicht vorstellen, andererseits ist es durchaus möglich. Auf einmal habe ich das Bedürfnis, Molly anzurufen und mit ihr darüber zu reden. Nicht über meine Gefühle für Nathan, nur über ihren Brief. Ich berechne die Zeit. Jetzt haben wir Sommerzeit, also sind es neun Stunden Unterschied. Was bedeutet … es ist fünf Uhr morgens in Sydney! Verdammt.
Mein Handy piept. Eine SMS von James:
Geh mit den Jungs noch was trinken. Komme bald. XX
Toll. Er wollte heute Abend mit mir essen gehen. Davon kann ich mich jetzt wohl verabschieden. Aber eigentlich ist es gar nicht schlecht, ein bisschen Zeit für mich allein zu haben. Ich wende mich wieder den Fotos zu.
Nathan. Er ist mir so unglaublich vertraut. Ich frage
Weitere Kostenlose Bücher