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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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bestärken und uns beide mit meiner Arbeit ernähren. Wenn er dann entdeckt wurde und berühmt war, würde er Oprah, Richard und Judy erzählen, daß er es ohne mich nicht geschafft hätte und seinen ganzen Erfolg mir verdankte.
    Unser Haus wäre erfüllt von Musik, Gelächter und wunderbaren Gesprächen, und alle würden uns beneiden und sagen, was für eine wunderbare Ehe wir führten. Auch wenn wir richtig reich wären, würden wir uns nach wie vor an den einfachen Dingen des Lebens freuen und einander die liebsten Menschen auf der Welt sein. Unmengen interessanter und begabter Leute würden uneingeladen bei uns vorbeischauen, und ich würde aus Resten herrliche Mahlzeiten zaubern, und mich dabei mit unseren Gästen tiefgründig und scharfsinnig über die frühen Filme von Jim Jarmusch unterhalten.
    Gus würde mich rückhaltlos unterstützen, so daß ich mich, wenn ich erst mit ihm verheiratet war, nicht so... minderwertig fühlen mußte. Ich könnte ein vollständiger und normaler Mensch sein, ganz so, als ob ich dazugehörte wie alle anderen.
    Die bezaubernden Groupies, denen er auf seinen Tourneen vielleicht begegnete, würden ihn nie verlocken können, da ihm keine von ihnen das gleiche Gefühl von bedingungsloser Liebe, Geborgenheit und Zugehörigkeit vermitteln würde, das er bei mir hatte.
    Nach dem Abendessen fragte er: »Hast du’s eilig, nach Hause zu kommen, oder möchtest du noch woanders hin?«
    »Ich hab’s nicht eilig«, sagte ich. Das stimmte. Inzwischen war ich sicher, daß es im Verlauf des Abends zur Besiegelung unserer Beziehung kommen würde. Zwar empfand ich bei dieser Vorstellung eine unbändige Vorfreude, sie jagte mir aber auch panische Angst ein.
    So sehr ich es wollte, so sehr fürchtete ich es, und alles, was den Augenblick der Wahrheit hinauszögerte, war mir zugleich willkommen und zuwider.
    »Gut«, sagte Gus. »Ich möchte dich wohin mitnehmen.«
    »Wohin?«
    »Es ist eine Überraschung.«
    »Toll.«
    »Wir müssen mit dem Bus fahren. Macht dir das was aus?«
    »Überhaupt nicht.«
    Wir stiegen in einen Bus der Linie 24 und Gus zahlte für mich. Die Selbstverständlichkeit, mit der er das tat, freute mich sehr. Es war lieb und besitzergreifend, wie bei verliebten Teenagern.
    Als sich der Bus den Wonnen von Camden Town näherte, stiegen wir aus.
    Gus führte mich an der Hand über einen Teppich aus leeren Bierdosen, vorüber an Menschen, die auf Pappkartons in Hauseingängen schliefen, jungen Männern und Frauen, die auf der verdreckten Straße saßen und um Kleingeld bettelten. Ich war entsetzt. Zwar hatte ich, da ich mitten in London arbeitete, gesehen, daß es dort Obdachlose gab, aber hier waren es so viele, daß ich mir vorkam, als wäre ich in eine andere Welt gestolpert, eine, in der die Menschen wie im Mittelalter gezwungen waren, im Dreck zu hausen und zu verhungern. Manche waren betrunken, die meisten aber nicht. Allerdings war das kein Maßstab.
    »Augenblick, Gus!« sagte ich und blieb stehen, um die Geldbörse aus der Handtasche zu holen.
    Ich sah mich in einer schrecklichen Zwangslage: Sollte ich alles Kleingeld einem einzigen geben, damit dieser etwas Vernünftiges damit anfangen konnte – sich beispielsweise etwas zu essen oder zu trinken kaufen, oder sollte ich versuchen, es an so viele Leute wie möglich zu verteilen, damit eine ganze Menge von ihnen jeweils zwanzig Pence bekam? Aber was gibt es schon für zwanzig Pence? fragte ich mich besorgt. Nicht mal eine Tafel Schokolade.
    Während ich auf der Straße stand und um eine Entscheidung rang, rempelten Vorübergehende mich an. »Was soll ich deiner Ansicht nach tun, Gus?« fragte ich ihn flehend.
    »Hart sein, Lucy«, sagte er. »Lern die Augen zu verschließen. Selbst wenn du jeden Penny herschenktest, den du hast, würde das keinen Unterschied machen.«
    Er hatte recht – ganz davon abgesehen, daß alles, was ich hatte, nicht besonders viel war.
    »Ich kann meine Augen nicht davor verschließen«, sagte ich. »Laß mich ihnen zumindest mein Kleingeld geben.«
    »Dann gib aber alles einem«, sagte Gus.
    »Meinst du, daß das richtig ist?«
    »Wenn du damit anfängst, jedem Penner in Camden hinterherzulaufen, um dein Geld aufzuteilen, ist die Kneipe, in die wir wollen, zu, bevor du fertig bist. Deswegen meine ich, du solltest alles einem geben«, sagte er sachlich.
    »Gus! Wie kannst du nur so herzlos sein?« rief ich aus.
    »Weil ich muß. Das müssen wir alle«, sagte er.
    »Schön. Wem soll ich es also

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