Lucy Sullivan wird heiraten
das andere Zeug, was all die jungen Leute nehmen, damit sie zu Kräften kommen?«
»Ich weiß nicht. Sanatogen?«
»Nein«, murmelte er. »Das hieß anders.«
»Wir müssen jetzt wirklich los, nicht wahr, Daniel?« sagte ich entschlossen.
»Äh, ja.«
»Kokain hieß es!« rief Dad, ganz begeistert, daß es ihm eingefallen war. »Laß dir in der Poliklinik eine Dosis Kokain verpassen, und du hüpfst in Null Komma nichts rum wie ein junges Häschen.«
»Das glaub ich nicht, Dad«, kicherte ich.
»Warum nicht?« wollte er wissen. »Gehört das etwa zu diesem verbotenen Zeug?«
»Ja, Dad.«
»Eine verdammte Schande«, erklärte er. »Der Gesetzgeber verdirbt uns aber auch alles mit den Steuern und den Sprüchen ›dies und jenes ist verboten‹. Was kann es schon schaden, wenn man von Zeit zu Zeit ’nen Tropfen Kokain nimmt? Die im Parlament sind lauter humorlose Gestalten, jawohl.«
»Ja, Dad.«
»Warum bleibst du nicht über Nacht?« schlug Mum vor. »Das Bett in deinem Zimmer ist gemacht.«
Die bloße Vorstellung erfüllte mich mit Schrecken. Unter ihrem Dach übernachten? Mich dort wieder eingesperrt fühlen? Als wäre ich ihr nie entkommen?
»Äh, nein, Mum. Daniel muß nach Hause, und da kann ich ebensogut mit ihm zurückfahren...«
»Aber Daniel kann auch bleiben«, sagte sie ganz aufgeregt. »Er kann im Zimmer der beiden Jungs schlafen.«
»Vielen Dank, Mrs. Sullivan...«
»Connie«, sagte sie, beugte sich über den Tisch und legte ihm die Hand auf den Arm. »Nennen Sie mich Connie. Es kommt mir albern vor, daß Sie mich immer noch ›Mrs. Sullivan ‹ nennen, wo ihr jetzt alle schon groß seid.«
Großer Gott! Sie tat, als ob sie... als ob sie mit ihm flirtete. Ich hätte mich fast übergeben.
»Vielen Dank, Connie«, wiederholte Daniel. »Aber ich muß wirklich in die Stadt zurück. Ich hab morgen sehr früh eine Besprechung...«
»Nun, wenn das so ist... Ich will keineswegs Sand ins Getriebe der Industrie streuen. Aber Sie kommen uns doch bald mal wieder besuchen?«
»Bestimmt, gern.«
»Und vielleicht könnt ihr beim nächsten Mal beide hier übernachten?«
»Ach, bin ich auch eingeladen?« fragte ich.
»Lucy«, sagte Mum tadelnd. »Du brauchst doch keine Einladung. Wie kommen Sie mit ihr zurecht?« fragte sie Daniel. »Sie ist so empfindlich.«
»Ganz gut«, murmelte Daniel. Seine angeborene Höflichkeit verlangte, daß er Mum zustimmte, und zugleich mahnte ihn sein angeborener Überlebensinstinkt, daß es ziemlich tollkühn wäre, mich zu verärgern.
Mit seinem Bedürfnis, es allen jederzeit recht zu machen, hatte er bestimmt einen schweren Stand. Vierundzwanzig Stunden am Tag bezaubernd und umgänglich sein, dürfte ganz schön anstrengend sein.
»Hätte ich nicht für möglich gehalten«, sagte Mum scharf.
»Äh, dürfte ich mal telefonieren – nach einem Taxi?« fragte Daniel, darauf bedacht, das Thema zu wechseln.
»Wir können doch mit der U-Bahn fahren«, sagte ich.
»Es ist schon spät.«
»Und?«
»Es regnet.«
»Und?«
»Ich zahle.«
»Wenn das so ist, von mir aus.«
»’n Stück weiter unten gibt’s ’ne Minicab-Firma«, sagte Mum. »Wenn ihr so dringend weg wollt, ruf ich da mal an.«
Mir wurde angst und bang. Die Wagen dieser Firma wurden von ständig wechselnden afrikanischen Flüchtlingen, indonesischen Asylanten und Exil-Algeriern gefahren, von denen keiner ein Wort Englisch konnte, und die, nach ihrem Orientierungsvermögen zu urteilen, gerade in Europa angekommen waren. Auch wenn mir ihr Schicksal wirklich zu Herzen ging, wollte ich doch unbedingt nach Hause, ohne dabei über Oslo fahren zu müssen.
Mum rief dort an.
»Es dauert ’ne Viertelstunde«, sagte sie.
Wir saßen um den Tisch und warteten. Die Atmosphäre war angespannt. Wir bemühten uns, so zu tun, als ob alles wie vorher und wir glücklich wären, dort zu sein, als lauschten wir nicht angestrengt auf das Geräusch eines vor dem Haus bremsenden Autos. Keiner sagte ein Wort. Mir fiel nichts Munteres ein, womit ich die Spannung hätte auflösen können.
Mum seufzte und gab Äußerungen wie »Nun ja« von sich. Sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der »Nun ja« und »Noch ’ne Tasse Tee?« voll Bitterkeit sagen konnte.
Nach einem Zeitraum, der mir wie zehn Stunden vorkam, meinte ich vor dem Haus ein Auto zu hören und lief hinaus, um nachzusehen.
Die Wagen dieser Firma waren noch dazu grundsätzlich alte Schrottkisten, meist Ladas und Skodas.
Tatsächlich stand ein uralter,
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