Lucy Sullivan wird heiraten
läßt mir aber auch nie was durchgehen, was?« fragte er wütend. »Alles kitzelst du aus mir raus. Nie darf ich vor dir ein Geheimnis haben...«
»Warum ausgerechnet Messer und Gabeln?« unterbrach ich ihn verwirrt.
»Warum nicht?«
»Aber... was wolltet ihr damit? Warum habt ihr sie gestohlen?«
»Weil es ging.«
»Das versteh ich nicht.«
»Weil es ging. Wir haben sie genommen, weil es ging. Nicht, weil wir sie haben wollten«, erklärte er. »Die Belohnung bestand nicht in dem, was wir mitgehen ließen, sondern darin, daß wir es gemacht haben. Entscheidend war das Wegnehmen, nicht, was uns dabei in die Hände gefallen ist.«
»Aha.«
»Verstehst du das?«
»Ich glaub schon. Was habt ihr damit gemacht?«
»Ich hab sie meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt.«
»Du mieses Schwein!«
»Aber ich hab ihr noch was geschenkt«, fügte er sofort hinzu. »Eine Eieruhr. Nein, nein, die hab ich gekauft. Sieh mich nicht so an, Lucy!«
»Es geht nicht darum, ob du die Eieruhr geklaut hast oder nicht, sondern um das Prinzip! Man schenkt doch einer Frau keine Eieruhr!«
»Ich war noch jung, Lucy. Woher sollte ich das wissen.«
»Wie alt warst du denn? Siebenundzwanzig?«
»Nein«, lachte er. »Ungefähr sechs.«
»Du hast dich seitdem nicht sehr geändert, was?«
»Wie meinst du das? Daß ich nach wie vor bei Woolworth Besteck stibitze, um es meiner Mutter zum Geburtstag zu schenken?«
»Nein.«
»Wie dann?«
»Daß du was nimmst, einfach, weil es geht.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte er verstimmt.
»Doch, das weißt du«, sagte ich zufrieden.
»Weiß ich nicht.«
»Weißt du doch. Ärgere ich dich?«
»Ja.«
»Ich spreche von Frauen, Daniel. Die Geschichte zwischen Frauen und dir, zwischen dir und Frauen.«
»Das dachte ich mir fast«, sagte er und versuchte, ein leises Lächeln zu unterdrücken.
»Die Art, wie du sie nimmst, einfach, weil du sie kriegen kannst.«
»Tu ich doch gar nicht.«
»Tust du schon.«
»Das stimmt nicht.«
»Und was ist mit Karen?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Wie gern hast du sie? Oder amüsierst du dich einfach nur mit ihr?«
»Ich mag sie wirklich«, sagte er ernst. »Ehrlich, Lucy. Sie ist äußerst klug, sehr angenehm und sieht blendend aus.«
»Ist das dein Ernst?« fragte ich streng.
»Mein voller Ernst.«
»Und du tändelst nicht nur mit ihr rum?«
»Nein.«
»Gut.«
Wir schwiegen.
»Äh, bist du, du weißt schon... in sie verliebt ?« bohrte ich vorsichtig weiter.
»Dafür kenne ich sie noch nicht lange genug.«
»Schön.«
»Aber ich geb mir Mühe.«
Eine erneute verlegene Pause trat ein.
Mir fiel wirklich nichts ein, was ich hätte sagen können. Das hatte ich bei Daniel noch nie zuvor erlebt.
»Dad war heute abend ziemlich still«, sagte ich schließlich. »Er hat sich sehr zurückgehalten.«
»Ja, nicht mal gesungen hat er.«
»Gesungen?«
»Gewöhnlich muß ich mir feurige Darbietungen von ›Carrickfergus ‹ oder ›Vier grüne Wiesen‹ anhören und mit ihm singen«, erläuterte Daniel.
Ich hatte das unbehagliche Gefühl, daß er sich über Dad lustig machte. Da ich das aber nicht so genau wissen wollte, sagte ich weiter nichts.
Sehr viel später kamen wir bei meiner Wohnung an.
»Danke für die Begleitung«, sagte ich zu Daniel.
»Komm schon. Es hat mir gefallen.«
»Nun, äh, gute Nacht.«
»Gute Nacht, Lucy.«
»Auf bald. Wahrscheinlich kommst du ja zu Karen.«
»Wahrscheinlich.« Er lächelte.
Ganz plötzlich ärgerte ich mich, es meldete sich das kindische Gefühl ›Er ist doch mein Freund ‹.
»Tschüs!«, sagte ich knapp und wollte aussteigen.
»Lucy«, sagte Daniel. In seiner Stimme lag etwas Ungewohntes, etwas Neues. Vielleicht war es eine gewisse Eindringlichkeit, die mich veranlaßte, mich zu ihm umzudrehen und ihn anzusehen.
»Ja?« fragte ich.
»Nichts... nur... gute Nacht.«
Zwar sagte auch ich »gute Nacht«, wobei ich mich bemühte, einen verärgerten Klang in meine Stimme zu legen, doch stieg ich nicht aus. Eine sonderbare Spannung lag in der Luft, die mir sagte, daß ich auf etwas wartete, ohne daß ich gewußt hätte, worauf.
Wahrscheinlich haben wir Streit, überlegte ich, einen Streit der stillen, aber tödlichen Art.
»Lucy«, sagte Daniel wieder mit der sonderbar eindringlichen Stimme.
Ich gab keine Antwort. Weder seufzte ich, noch fragte ich »Was?«, wie ich das sonst getan hätte. Ich sah ihn einfach an und merkte zum ersten Mal in meinem Leben, daß ich ihm gegenüber
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