Lucy Sullivan wird heiraten
wollte Mitgefühl, wollte Aufmerksamkeit, wollte behandelt werden wie eine Kranke auf dem Weg zur Besserung. Was ich aber nicht wollte, war Geschirr spülen.
Wer auch immer behauptet, daß Arbeit vom Liebeskummer ablenkt, irrt, denn ich arbeitete an dem Tag eine ganze Menge und dachte trotzdem ständig an Gus – sowieso ist mir völlig unerfindlich, wieso ich mich in bezug auf ihn besser fühlen sollte, nur weil ich im Badezimmer Erbrochenes aufwischte. Das einzige, was dabei herauskam, war, daß ich mich für eine Weile aus einem anderen Grund elend fühlte als zuvor.
Ich saugte in der ganzen Wohnung Staub, wusch an Geschirr und Gläsern ab, was nicht zerbrochen war, steckte die Scherben der übrigen Teller und Gläser in eine Mülltüte und hängte einen kleinen Zettel für die Müllmänner daran, damit sie sich nicht in die Finger schnitten. Ich leerte Berge von Aschenbechern, verschloß unberührte Schüsseln mit Frischhaltefolie und stellte sie in den Kühlschrank, wo sie drei Wochen lang wertvollen Magerjoghurt-Stauraum einnehmen und lange Schimmelbärte ansetzen würden, bis wir sie schließlich fortwarfen. Vergeblich versuchte ich das Kerzenwachs aus dem Teppichboden zu kratzen und rückte schließlich das Sofa auf den Fleck. Bei all dem dachte ich ununterbrochen an Gus.
Ich war mit den Nerven völlig am Ende. Den ganzen Tag klingelte das Telefon. Jedesmal durchzuckte es mich, ich fuhr auf und betete inständig und stumm, bitte, lieber Gott, mach, daß es Gus ist. Ich wagte den Hörer nicht abzunehmen für den Fall, daß er es war. Ans Telefon zu gehen war gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß mir sein Anruf wichtig war, und das wäre unverzeihlich gewesen. Karen oder Charlotte mußten das Topfschrubben (Charlotte) oder das Herumtänzeln mit dem Frischluftspray (Karen) unterbrechen und für mich an den Apparat gehen.
Wie es sich für eine von ihrem Liebhaber verschmähte Frau gehört, bestand ich darauf, daß sie es vorher fünfmal klingeln ließen.
»Noch nicht, noch nicht!« flehte ich jedes Mal aufs neue. »Laß es noch ein bißchen klingeln. Er darf auf keinen Fall annehmen, daß wir auf seinen Anruf warten.«
»Aber das tun wir doch.« Charlotte sah verwirrt drein. »Jedenfalls du.«
Es nützte alles nichts. Nur einer der Anrufe war für mich, und er kam – ausgerechnet – von meiner Mutter.
»Warum habt ihr es so lange klingeln lassen?« wollte sie wissen, als mir Charlotte betrübt den Hörer gab.
Und auf einmal war Samstagabend. Samstagabende hatten in meinem Leben immer eine besondere Rolle gespielt. Ich konnte mich darauf freuen, sie waren ein Lichtblick in einer dunklen Welt gewesen. Diesmal aber war es ein leerer Samstagabend, einer ohne Gus, und entsetzt stellte ich fest, daß ich beinahe Angst davor hatte.
In den vergangenen – waren es erst sechs? – Wochen war jeder Samstagabend erfüllt gewesen, weil ich ihn gemeinsam mit Gus verbracht hatte. Manchmal waren wir ausgegangen, dann wieder zu Hause geblieben, was auch immer es war, hatten wir gemeinsam unternommen. Jetzt kam es mir vor, als hätte ich nie im Leben einen freien Samstagabend gehabt – so fremd erschien mir das Ganze.
Ich hatte das Gefühl, als hafte dem Samstagabend jetzt eine gewisse Boshaftigkeit an, es war so, als hätte mir jemand eine Schlange zugeworfen und mich gezwungen, sie einige Stunden zu unterhalten.
Was sollte ich mit so einem Samstagabend anfangen? Mit wem ihn verbringen? All meine Freundinnen und Freunde waren verbandelt: Charlotte mit Simon, Karen mit Daniel und dieser mit Karen. Ganz davon abgesehen war er nicht mehr mein Freund.
Ich hätte Dennis anrufen können, aber das wäre lächerlich gewesen. Es war Samstagabend, und er war schwul, bestimmt würde er sich jetzt den Schädel rasieren, um sich in eine Nacht des ungezügelten Hedonismus zu stürzen.
Charlotte und Simon luden mich ein, mit ihnen ins Kino zu gehen – nach der Trunkenheitsorgie des Vortags fühlte sich Charlotte, wie sie sagte, zu nichts anderem imstande – aber ich wollte nicht.
Nicht etwa deswegen, weil ich befürchtet hätte, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Damit hatte ich keine Schwierigkeiten, denn schließlich kannte ich diese Rolle von vielen früheren Gelegenheiten, und die ersten zehntausend Mal sind die schlimmsten. Ich schäme mich zu sagen, daß ich Angst hatte, die Wohnung zu verlassen, schließlich bestand die Möglichkeit, daß Gus kam.
Wie eine Närrin hoffte ich immer noch, von ihm zu
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