Lucy Sullivan wird heiraten
hören. Eigentlich rechnete ich mehr oder weniger damit, daß er gegen acht in einem ihm zu großen geliehenen Jackett mit einem schlecht geknoteten Schlips käme, weil er annahm, die Einladung sei für Samstag und nicht für Freitag gewesen. Möglich war es, auch wenn ich selbst nicht so recht daran glaubte.
So etwas passierte ab und an. Vielleicht würde es auch mir passieren, und ich wäre gerettet. Ich könnte mich lachend vom Rande des Abgrunds zurückziehen, weil es ja gar keinen Grund gab, mich dort herumzutreiben.
Von Karen und Daniel kam keine Aufforderung, mich ihnen anzuschließen. Das hatte ich weder erwartet, noch hätte ich es gewollt. Ich fühlte mich in Daniels Gegenwart so unbehaglich, daß wir kaum miteinander sprachen. Außerdem stieg mir nach wie vor die Röte ins Gesicht, wenn ich nur daran dachte, wie ich am Vorabend angenommen hatte, er wolle mich küssen, während er in Wirklichkeit lediglich nett zu mir gewesen war, weil Gus mich versetzt hatte. Wie konnte ich so etwas nur glauben? fragte ich mich beschämt. Schlimmer, wie hatte mir das gefallen können? Schließlich war es Daniel. Das war ungefähr so, als hielte ich es für richtig, mit meinem Vater zu knutschen.
Alle gingen, und ich war an einem schönen Samstagabend im April allein in der Wohnung.
Irgendwann, als Gus in mein Leben getreten und wieder daraus verschwunden war, hatte der Winter dem Frühling Platz gemacht. Ich aber hatte zu viel damit zu tun gehabt, mich zu verlieben und das Zusammensein mit Gus zu genießen, als daß ich es wahrgenommen hätte.
Mir fiel auf, um wieviel schwerer sich eine Zurückweisung an schönen hellen Abenden ertragen läßt. Als es abends noch dunkel gewesen war, hatte ich zumindest die Vorhänge vorziehen, ein Feuer machen, mich zusammenrollen und verstecken und in meinem Alleinsein durchaus behaglich fühlen können. Die Helligkeit des Frühlingsabends aber war nachgerade peinlich und machte mein Versagen vor aller Augen deutlich sichtbar. Es kam mir vor, als wäre ich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der an einem Samstagabend allein daheim saß.
Im Winter verlassen zu werden, war da entschieden besser – der Winter war bedeutend diskreter.
Nachdem Gus auch um acht nicht gekommen war, tat ich auf der Treppe des Elends einen Schritt weiter abwärts. Warum konnte ich mich nicht gleich bis ganz unten fallenlassen und es hinter mich bringen? Zwar war mir klar, wie klug es ist, ein Pflaster mit einem einzigen kräftigen Ruck von einer Wunde herunterzureißen, auch wenn es einem das Wasser in die Augen treibt, doch in Herzensangelegenheiten löste ich alles nur in qualvoller Langsamkeit von mir ab.
Ich beschloß, aus dem Haus zu gehen, um mir ein Video zu besorgen. Außerdem eine Flasche Wein, denn ich sah keine Möglichkeit, den Abend hinter mich zu bringen, ohne etwas zu trinken.
»Gus ruft bestimmt nicht mehr an, der geht bestimmt mit Mandy aus«, sagte ich und spielte mit den Göttern das Spiel »Es ist sowieso egal«. Wer es beherrscht und die Götter überzeugen kann, daß man wirklich nicht will, wonach einem der Sinn steht, bekommt es wahrscheinlich.
In der Videothek begrüßte mich Adrian wie eine lange verlorene Schwester. »Lucy! Wo hast du gesteckt?« brüllte er durch den ganzen Laden. »Ich hab dich ja ewig nicht gesehen. Ewig .«
»Hallo, Adrian«, antwortete ich sehr leise, in der Hoffnung, seine Lautstärke durch mein gutes Beispiel drosseln zu können.
»Und wem verdanken wir dieses Vergnügen?« röhrte er. »Allein am Samstagabend? Er hat dich wohl sitzenlassen?«
Mit verkniffenem Lächeln suchte ich mir ein Video aus.
Als sich Adrian umdrehte, um die zur Hülle passende Kassette zu suchen, musterte ich ihn verstohlen. Das bin ich mir schuldig, sagte ich mir. Jetzt, da ich wieder allein war, mußte ich angestrengt Ausschau danach halten, wer der Ehemann sein mochte, den mir Mrs. Nolan geweissagt hatte. Er ist gar nicht schlecht, dachte ich matt. Knackarsch, ganz in Ordnung. Es hatte nur einen Fehler: es war nicht das Hinterteil von Gus. Ein hübsches Lächeln, aber es war nicht das von Gus.
Andere Männer anzusehen war die reine Zeitverschwendung, so voll war mein Kopf mit Gus.
Ohnehin war ich nicht wirklich überzeugt, daß es mit Gus vorbei war – dazu war es zu früh. Man mußte mir erst Beweise um die Ohren schlagen, mich damit in den Boden rammen, bis ich es wirklich glaubte. Etwas aufzugeben fiel mir nicht leicht, loslassen war keine meiner
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