Lucy Sullivan wird heiraten
was?«
»Aber nein«, sagte ich höflich. »Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß man das Wort Prostituierte genau so schreibt, wie man es spricht.«
Großer Gott! Was für ein Widerling!
»Kein Mann hat Achtung vor einer Frau, die trinkt«, sagte er, wobei er mit streng zusammengekniffenen Augen zuerst meinen Bacardi und dann mich musterte.
Das konnte unmöglich ernst gemeint sein. Die einzige denkbare Erklärung war, daß es sich um ein abgekartetes Spiel handelte. Ich sah mich um und erwartete mehr oder weniger, Daniel an einem der anderen Tische zu sehen, spähte aufmerksam umher, ob sich irgendwo eine versteckte Kamera entdecken ließ. Aber ich konnte kein bekanntes Gesicht sehen.
Ach, wär das doch nur vorbei, seufzte ich im stillen. Was für ein vergeudeter Abend. Noch dazu ein Freitag, wo es im Fernsehen so gute Sendungen gab.
›Eigentlich brauchst du dir das nicht gefallen zu lassen‹, sagte eine aufrührerische leise Stimme in meinem Kopf.
›Doch‹, flüsterte ein pflichtbewußtes Stimmchen zurück.
›Nein wirklich nicht‹, erwiderte die erste Stimme.
›Aber... Ich muß schon bleiben, bis es vorbei ist. Ich hab mich damit einverstanden erklärt, ihn zu treffen und kann jetzt nicht einfach gehen. Das wäre nicht höflich‹, wendete mein pflichtbewußtes Ich ein.
› Höflich ‹, höhnte die aufrührerische Stimme. ›Ist er etwa höflich? Da waren die Amis, die ihre Atombombe über Hiroshima abgeworfen haben, vermutlich höflicher.‹
›Schon, aber ich komm so selten mit Männern zusammen und darf ’nem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen und...‹ erklärte mein pflichtbewußtes Ich.
›Ich kann es nicht fassen, was du da sagst‹, sagte mein aufrührerisches Ich. Es klang aufrichtig entsetzt. ›Hast du wirklich eine so geringe Meinung von dir selbst, daß du lieber mit so’nem Mann zusammen bist, als allein zu sein?‹
›Aber ich fühl mich so einsam‹, sagte mein pflichtbewußtes Ich.
›Du meinst, du brauchst dringend ’nen Kerl‹, schnaubte das aufrührerische Ich.
›Wenn du das so sagst...‹ sagte das pflichtbewußte Ich zögernd, das nicht einmal einen ausgesprochenen Widerling vor den Kopf stoßen wollte.
›So sag ich es‹, gab das aufrührerische Ich unbeirrt zurück.
›Nun, ich könnte mich krank stellen‹, sagte das pflichtbewußte Ich, ›und sagen, daß ich einen Beinbruch hab, mein Blinddarm schwer entzündet ist oder so was.‹
›Kommt überhaupt nicht in Frage‹, sagte das aufrührerische Ich. ›Warum ihn schonen? Wenn du gehst, tu es richtig. Laß ihn wissen, wie abstoßend er ist, wie unausstehlich du ihn findest. Mach deinen Standpunkt klar und sag es ihm.‹
›Das könnte ich nie...‹ protestierte das pflichtbewußte Ich.
Das aufrührerische Ich schwieg.
›... oder doch?‹
›Natürlich‹, sagte mein aufrührerisches Ich mit Nachdruck.
›Aber... aber... was soll ich tun?‹ fragte das pflichtbewußte Ich, dem die Erregung in den Eingeweiden zu brennen begann.
›Dir fällt bestimmt was ein. Darf ich dich daran erinnern, daß du es noch rechtzeitig zur Sendung mit Rab C. Nesbitt schaffst, wenn du jetzt gehst?‹ teilte mir mein aufrührerisches Ich mit.
Chuck leierte weiter seinen Monolog herunter.
»Heute in der U-Bahn war ich der einzige Weiße...«
Schluß! Genug! Das reichte.
›Aber ich hab Angst vor ihm‹, erklärte mein pflichtbewußtes Ich. ›Wenn er mich aufspürt, mich foltert und umbringt – er sieht ganz danach aus, als ob er dazu imstande wäre.‹
›Du brauchst keine Angst zu haben‹, sagte das aufrührerische Ich. ›Er weiß nicht, wo du wohnst, er kennt nicht mal deine Telefonnummer. Alles, was er hat, ist eine Chiffre. Nur zu! Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.‹
Beschwingt stand ich im Bewußtsein ungewohnter Macht auf und nahm Mantel und Tasche zur Hand.
»Entschuldigung«, unterbrach ich mit süßem Lächeln Chucks Redeschwall über die Notwendigkeit verschärfter Einwanderungsbestimmungen und die Beschränkung des Stimmrechts auf Weiße. »Ich muß mal für kleine Mädchen.«
»Und dafür brauchen Sie Ihren Mantel?« wollte er wissen.
»Ja, Chuck«, sagte ich lieblich. So ein dämlicher Heini!
Auf zitternden Beinen stakste ich von ihm fort. Ich hatte Angst, war aber zugleich auch glücklich.
Ich kam an unserer Kellnerin vorbei, die einen Tisch abräumte. Mein Adrenalinspiegel war so hoch, daß ich kaum richtig sprechen konnte.
»Entschuldigung«, sagte ich, wobei sich meine
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