Lucy Sullivan wird heiraten
seinen Lippen ab. Er sah fast aus wie eine Figur in einem Zeichentrickfilm.
Stumm bildete ich die Worte »Leck mich!« mit den Lippen und hielt beide Hände mit gerecktem Zeige- und Mittelfinger in die nasse Nacht, für den Fall, daß er im Lippenlesen nicht besonders geübt war. Mit kurzen, heftigen Bewegungen stieß ich sie etwa zehn Sekunden lang aufwärts, während er mich in ohnmächtiger Wut aus dem Fenster anstarrte.
»Sie können losfahren«, sagte ich. Der Fahrer gab genau in dem Augenblick Gas, als zwei Kellner hinter Chuck auftauchten, von denen einer einen Eiskübel mit einer weißen Serviette und der andere eine Flasche Champagner brachte.
Dann fiel mir ein, an wen mich Chuck erinnert hatte: an Donny Osmond !
Den schmalzigen Donny Osmond, wie er »Puppy Love« singt. Der orangefarbene, geradlinige Donny Osmond mit den seelenvollen Welpenaugen, die zu seiner Welpenliebe paßten. Aber es war ein Donny Osmond, dessen Glanz verblichen war, dem das Schicksal übel mitgespielt hatte, ein Donny Osmond, dessen Leben nicht so verlaufen war, wie er es sich vorgestellt hatte, ein bitterer, humorloser Donny Osmond mit rechtsradikalen Neigungen.
Lange bevor ich zu Hause ankam, hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen der Flasche Champagner. Es gehörte sich nicht, Chuck dafür bezahlen zu lassen. Nur, weil er widerlich und abscheulich war, brauchte ich mich nicht ebenfalls so aufzuführen. Also rief ich im Restaurant an, kaum daß ich in der Wohnung war.
»Äh, hallo«, sagte ich nervös. »Ich war heute abend in Ihrem Restaurant und mußte unerwartet gehen. Vorher habe ich für meinen Begleiter eine Flasche Champagner bestellt. Es war eine... äh... Überraschung, und ich nehme nicht an, daß er dafür bezahlen wollte. Ich möchte sicher sein, daß die Kellnerin es nicht von ihrem Lohn abgezogen bekommt oder so...«
»Ist der Herr Amerikaner?« wollte eine Männerstimme wissen.
»Ja«, bestätigte ich zögernd. Von wegen Herr!
»Dann sind Sie wohl die geisteskranke Frau?« fragte die Stimme.
Eine Unverfrorenheit! Wie kam er dazu, mich als verrückt hinzustellen?
»Der Herr hat uns erklärt, daß Sie sich oft so verhalten und nichts dafür können.«
Ich schluckte meine Wut herunter.
»Ich komme für den Champagner auf«, murmelte ich.
»Nicht nötig«, sagte die Stimme. »Wir haben uns mit dem Herrn geeinigt, daß wir über die Schäden hinwegsehen wollen, die er an der Einrichtung verursacht hat, wenn er den Champagner bezahlt.«
»Das scheint mir kaum gerechtfertigt, wenn er ihn nicht getrunken hat.«
»Aber er hat ihn getrunken«, sagte die Stimme.
»Er trinkt nichts«, wandte ich ein.
»Oh doch«, sagte die Stimme. »Kommen Sie und sehen Sie selbst, wenn Sie es mir nicht glauben.«
»Wollen Sie damit sagen, daß er noch immer da ist?«
»Das kann man laut sagen! Und was er trinkt, ist kein alkoholfreier Tequila.«
Großer Gott! Jetzt hatte ich auch noch die Schuld auf mich geladen, aus Chuck einen Trinker gemacht zu haben. Ach zum Teufel – vielleicht war es das beste, was ihm je widerfahren war. – Jetzt aber schnell zum Fernseher.
Zu meinem großen Kummer saßen Karen und Daniel bei einer Flasche Wein im Wohnzimmer, hielten Händchen, daß es einem davon schlecht wurde und sahen sich auf meinem Fernseher meine Sendung an.
»Du kommst aber früh«, sagte Karen erbost.
»Hmm«, sagte ich unverbindlich.
Auch meine Laune war nicht besonders gut, denn es bedeutete, daß ich ohne Rab C. Nesbitt auskommen mußte. Ich konnte unmöglich mit Karen und Daniel im selben Zimmer bleiben, während sie sich abknutschten.
Ich würde in mein Zimmer gehen müssen, damit sie es sich auf dem Sofa gemütlich machen konnten, Karen ihren Kopf auf Daniels Schoß legte, er ihr über das Haar strich, sie ihm über... nun, was auch immer sie vorhatten und was ich mir gar nicht so genau ausmalen wollte. Ihr Geturtel war einfach geschmacklos.
Bei Charlotte und Simon fühlte ich mich nie so unbehaglich, und ich hatte keine Ahnung, warum es bei Daniel und Karen so war.
»Wie geht’s dir?« fragte Daniel. Er sah richtig selbstgefällig und hochnäsig drein.
»Gut«, sagte ich munter.
»Und was ist mit deinem blinden Amerikaner?« fragte er.
»Der ist total verrückt.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich.«
»Bitte, Lucy, nicht schon wieder«, seufzte Karen. »Das wird bei dir ja richtig zur Gewohnheit.«
»Ich geh schlafen«, sagte ich.
»Gut«, sagte Karen und zwinkerte Daniel lüstern zu.
»Ha, ha«, sagte ich,
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