Lucy Sullivan wird heiraten
der gesamten Belegschaft beschäftigte. Alle träumten davon, aus der Knechtschaft der Buchhaltung im Erdgeschoß herausgerissen und wie mit einem Zauberschlag in die luftige Welt des vierten Stocks emporgetragen zu werden. Natürlich mit der zugehörigen Gehaltserhöhung.
Manche sagten seufzend: »Und ich hab nie an Märchen geglaubt.«
Meredia nahm es ausgesprochen schlecht auf und war fortan eine gebrochene Frau. Schon seit acht Jahren arbeite sie dort, jammerte sie, und die australische Schlampe sei kaum aus dem Flugzeug gestiegen. Wahrscheinlich stamme sie direkt von einem Schafräuber ab, wenn nicht von einem Schafficker, die Hure...
Wenn jemand zu Meredia sagte: »Ich höre, daß es mit Megan aufwärts geht«, sagte sie: »Es geht mit ihr aufwärts, weil es mit ihr abwärts geht, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Anschließend schürzte sie die Lippen und nickte pharisäerhaft.
Es dauerte nicht lange, bis die Kunde von Meredias sonderbaren Anwürfen Megan zu Ohren kam.
Megan, deren Augen vor Wut Funken sprühten, nahm Meredia beiseite. Ich weiß nicht, was sie zu ihr gesagt hat, aber es bewirkte, daß Meredia mehrere Tage lang bleich und verschreckt aussah. Anschließend hob sie – sofern sie in der Öffentlichkeit sprach – stets mit Nachdruck hervor, daß Megan ihre Beförderung ausschließlich ihrer beruflichen Tüchtigkeit verdanke.
50
W enn ich an jenen Sommer zurückdenke, erinnere ich mich, daß mich Gus regelmäßig nach der Arbeit abgeholt hat, wenn die glühende Hitze des Tages allmählich nachließ. Wir saßen an den milden Abenden auf Bänken, die die Wirte vor ihre Kneipen auf den Gehsteig gestellt hatten, tranken kühles Bier, redeten und lachten.
Manchmal waren wir eine ganze Gruppe, dann wieder waren Gus und ich allein. Aber immer umgab uns die stille, laue Luft, das Klirren von Gläsern, das Summen einer Unterhaltung.
Die Sonne ging erst spät unter, und es wurde nie richtig dunkel. Die Bläue des Himmels nahm lediglich an Intensität zu, bis sich, nur wenige Stunden später, die Sonne erneut über einem blendend hellen Tag erhob.
Die Wärme veränderte die Menschen, brachte das Angenehme in ihnen zum Vorschein.
London war voller zum Plaudern aufgelegter, freundlicher Menschen. Es waren dieselben, die den Rest des Jahres hindurch elend umherschlichen, nur daß sie jetzt von mittelmeerischer Offenheit waren, weil sie um elf Uhr abends mit kurzen Ärmeln draußen auf der Straße sitzen konnten, ohne vor Kälte zu bibbern.
Wer in einem Biergarten voller Menschen um sich blickte, sah deutlich, wer Arbeit hatte und wer nicht. Das war nicht nur daran zu erkennen, daß die Arbeitslosen nie eine Runde ausgaben, sie waren auch unwahrscheinlich braun.
Es war immer viel zu warm, so daß man vor zehn oder elf Uhr abends unter keinen Umständen ans Abendessen auch nur denken konnte. Wenn es soweit war, zogen wir träge zu einem Restaurant, dessen Türen und Fenster zur Straße hin sperrangelweit offenstanden, tranken billigen Wein und taten so, als wären wir im Ausland.
Jede Nacht schliefen wir bei offenen Fenstern, und obwohl wir uns lediglich mit einem Laken zudeckten, war es immer noch zu warm zum Schlafen. Man konnte sich unmöglich vorstellen, daß man je wieder frieren würde. Eines Nachts war es so warm, daß ich mich im Bett voller Verzweiflung mit einem Glas Wasser übergoß. Das war äußerst angenehm. Noch angenehmer war die Leidenschaft, zu der es Gus anstachelte.
Ständig war viel zu viel los. Das Leben war eine einzige Kette von Abenden mit Grillfesten und Parties. Wenigstens kommt mir das in der Erinnerung so vor. Bestimmt war ich zwischendurch abends auch einmal in meiner Wohnung, habe ferngesehen und bin früh ins Bett. Daran erinnern kann ich mich allerdings nicht.
Nicht nur war unvorstellbar viel los, wir kannten auch unvorstellbar viele Menschen. Stets war jemand da, mit dem man ausgehen konnte. Von Gus ganz abgesehen, dem der Sinn Abend für Abend nach Ausgehen stand.
Wer was trinken gehen wollte, lief nie Gefahr, daß er plötzlich allein dastand.
Meine Kollegen begleiteten Gus und mich häufig. Sogar die arme Meredia schleppte sich mit, setzte sich keuchend, fächelte sich Luft zu und klagte darüber, wie ermattet sie sich fühlte.
Jed und Gus kamen gut miteinander aus – jedenfalls nach einer Weile. Bei ihrer ersten Begegnung waren sie wie zwei schüchterne kleine Jungen, die miteinander spielen wollen, aber nicht so recht wissen, wie sie das anstellen
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