Lucy Sullivan wird heiraten
und ich fühlte mich noch wirrer.
»Lucy«, sagte er, »ich würde nie was tun, was dich verletzen könnte.«
Ich glaubte ihm. Es wäre ungezogen von mir gewesen, ihm zu erklären, daß er mich bereits verletzt hatte. Schließlich hatte er es nicht mit Absicht getan.
»Kann ich mich jetzt abspritzen gehen?« fragte er kläglich.
Während er duschte, dachte ich an meine Mutter. Es hatte mir einen gewaltigen Schreck eingejagt zu merken, daß ich genauso war wie sie. Ich würde mir noch mehr Mühe geben, noch großzügiger und verständnisvoller sein, nahm ich mir vor.
Ich hörte, wie Daniel und Karen Gus begrüßten, als er aus dem Badezimmer kam.
»Morgen, Gus«, sagte Daniel. Es kam mir vor, als klinge seine Stimme ein wenig belustigt.
»Morgen, Danny, mein Junge. Morgen, Morag Biskuittörtchen«, sagte Gus fröhlich, als wäre er nie fortgewesen.
»’n Morgen, Paddy O’Paddy«, sagte Karen zu Gus.
»’n Morgen, Heide McHaferkeks«, sagte Gus zu Karen.
»’n Morgen, Fischkopf O’Torfstecher«, sagte Karen zu Gus.
»’n Morgen, Geizkragen McSeanConnery«, sagte Gus zu Karen.
»’n Morgen, Rosenkranzperlen O’Semtex«, sagte Karen zu Gus.
»’n Morgen, Ronald McDonald«, sagte Gus zu Karen.
Ich hörte brüllendes Gelächter. Es war nicht zu überhören, daß die Musik vor der Badezimmertür spielte. Meine Mitbewohnerin mitsamt ihrem Freund hatte den Bund mit Gus erneuert, und niemandem außer mir schien die Sache peinlich zu sein.
49
S o kamen Gus und ich wieder zusammen.
Ich versuchte, die Dinge gelassen anzugehen und ließ ihm mehr Freiheit.
Gus braucht seine Ungebundenheit , mahnte ich mich beständig. Die üblichen Regeln galten nicht für ihn. Ich durfte nicht glauben, daß ihm nichts an mir lag, nur weil er sich verspätete oder bei einer Party, zu der er mich mitgenommen hatte und bei der ich niemanden kannte, stundenlang mit anderen redete.
Ich sagte mir, daß ich nicht etwa meine Erwartungen zurückschraubte, sondern lediglich meinen Blickwinkel veränderte.
Ich wußte, daß ihm an mir lag – schließlich war er nach dieser dreiwöchigen Unterbrechung zurückgekommen. Das hätte er nicht zu tun brauchen. Niemand hatte ihn dazu gezwungen.
Meine neue Haltung sorgte dafür, daß wir glänzend miteinander auskamen. Gus benahm sich einwandfrei – jedenfalls so einwandfrei, wie ihm das möglich war, ohne sich selbst zu verleugnen.
Es war Sommer, und ausnahmsweise war das Londoner Wetter auch danach. Es war so ungewöhnlich warm und sonnig, daß viele darin ein Zeichen für das bevorstehende Ende der Welt sahen.
Ein heißer Tag mit strahlend blauem Himmel folgte auf den anderen, doch das Wetter hatte die Londoner schon so oft getäuscht, daß sie damit rechneten, die Hitzewelle könne jeden Augenblick aufhören.
Jedermann schüttelte den Kopf und sagte düster: »Es hält bestimmt nicht an.« Aber es hielt an, und es sah so aus, als wolle die Sonne immer weiter scheinen.
Diese Zeit ist mir als Idylle in Erinnerung. Woche für Woche war das Leben himmlisch, und ich kam mir vor, als lebte ich in einem kleinen goldenen Kokon.
Allmorgendlich durchflutete gelbes Licht mein Zimmer, so daß es fast ein Vergnügen war, aufzustehen und mein Leben zu leben.
Meine Depression schwand alljährlich im Sommer dahin, und auch die Arbeit schien keine solche Qual zu sein wie sonst. Vor allem, nachdem wir im Büro eine Revolte vom Zaun gebrochen hatten, woraufhin die Beschaffungsabteilung uns einen Ventilator kaufen mußte.
In der Mittagspause ging ich meist mit Jed zum Soho Square, wo wir uns inmitten Tausender anderer Büroangestellter darum bemühten, einige Quadratzentimeter Gras zu erhaschen, auf denen wir uns ausbreiten und in einem Buch lesen konnten.
Niemand eignete sich dafür besser als Jed, denn ihm konnte ich einfach sagen, er solle den Schnabel halten, wenn er anfing zu reden, und er gehorchte, so daß wir in geselligem Schweigen daliegen konnten. Zumindest fand ich es gesellig.
Meredia wollte nie mitkommen; sie hatte etwas gegen die Sonne. Sie versteckte sich während der Mittagspause bei herabgelassenen Jalousien im Büro und versuchte das Wetter zu behexen, damit es endlich regnete. Jeden Tag las sie besorgt die Wettervorhersage, hoffte auf einen Temperatursturz und tobte, wenn sie dicke schwarze Wolken von Irland herüberkommen sah, die England buchstäblich links liegen ließen und stracks nach Frankreich zogen.
Den ganzen Tag mußten wir mit ansehen, wie sie sich den Rock
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