Lucy Sullivan wird heiraten
»Du bist in dein Essen gefallen. Wir bringen dich besser nach Hause.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, lallte sie. »Davon ist kein Ton wahr. Mir ist die Zigarette runtergefallen, und ich mußte sie aufheben.«
»Ach so«, sagte ich erleichtert und zugleich beklommen.
»Totaler Quatsch«, knurrte Karen aggressiv. »Willze etwa sagen, daß ich nix vertrag?«
»Du da«, winkte sie Machmud. »Finnze mich ’traktiv? Na?«
»Sehr attraktiv«, stimmte er ihr begeistert zu. Er war wohl der Ansicht, das Glück sei ihm hold.
»Klar bin ich das«, sagte Karen. »Klar bin ich das.«
»Du aber nicht«, sagte sie zu Machmud. Dieser sah so gekränkt drein, daß ich ihm bei unserem Aufbruch mehr Trinkgeld gab als sonst. Ich mußte bezahlen, weil Charlotte in der Aufregung ihr Geld vergessen hatte. Karen hatte zwar einen Scheck schreiben wollen, konnte aber vor Trunkenheit den Stift nicht halten.
Wir schleppten sie nach Hause, zogen sie aus und legten sie ins Bett.
»Trink ’nen Schluck Wasser, Karen, sei brav, dann geht’s dir morgen nicht so schlecht, wenn du wach wirst«, sagte Charlotte und schob ihr ein Halbliterglas mit Wasser unter die Nase. Charlotte selbst war gleichfalls alles andere als nüchtern.
»Ich will nie, nie, nie wieder wach werden«, sagte Karen.
Sie gab einige merkwürdige Jammerlaute von sich, und nach einer Weile begriff ich, daß sie sang. Zumindest hielt sie das, was sie tat, für Singen.
»Du bist so eingebild’t... bestimmt meinze, daß das Lied über dich is. Glaub das bloß nich, glaub das bloß nich...« jaulte sie.
»Bitte, Karen«, flehte Charlotte und hielt ihr erneut das Glas Wasser hin.
»Stör mich nicht beim Singen. Ich sing von Daniel. Mach mit! Du bist so eingebild’t, bestimmt meinze... daß das Lied über dich is. Mach schon«, sagte sie aggressiv »Sing mit.«
»Bitte, Karen«, murmelte ich beschwichtigend.
»Komm mir bloß nicht so von oben herab«, sagte sie. »Sing schon mit, du bist so einge... Los, alle.«
»Äh, du bist so eingebildet«, sangen Charlotte und ich und kamen uns ziemlich bescheuert dabei vor. »Äh, bestimmt, meinst, du, daß das Lied über äh, dich...«
Sie sackte weg, bevor wir die erste Strophe beendet hatten.
»Ach, Lucy«, jammerte Charlotte. »Ich mach mir solche Sorgen.«
»Nicht nötig«, sagte ich beruhigend und mit einer Sicherheit, die ich nicht empfand. »Der geht’s morgen bestimmt gut. Die ist sofort wieder voll da.«
»Nicht um sie mach ich mir Sorgen!« sagte Charlotte. »Um mich.«
»Wieso?«
»Erst geht Gus, dann Daniel. Was ist, wenn Simon der nächste ist?«
»Aber warum sollte er? Das ist doch keine ansteckende Krankheit?«
»Aber der Blitz schlägt immer dreimal ein«, sagte Charlotte und hatte ihr weiches rosa Gesicht vor Besorgnis in Falten gelegt.
»Vielleicht bei euch in Yorkshire«, sagte ich freundlich. »Hier in London brauchst du dir darüber keine grauen Haare wachsen zu lassen.«
»Hast recht«, sagte sie ein wenig munterer. »Außerdem hat Gus dich zweimal sitzen lassen, dann ist es jetzt mit Daniel und Karen schon das dritte Mal.«
»Wie schade, daß Gus nicht noch einmal mehr mit mir Schluß gemacht hat. Dann hätte ich Karen all den Ärger sparen können«, sagte ich ziemlich schroff.
»Nimm es dir nicht zu Herzen, Lucy«, sagte Charlotte. »Das konntest du ja nicht wissen.«
54
U nd dann kam das dritte Mal.
So unbedarft Charlotte für gewöhnlich war, diesmal hatte ihr Instinkt sie nicht getrogen. Simon rief sie am Dienstag nicht im Büro an, was er sonst täglich tat, manchmal sogar zweimal.
Als sie ihn am Dienstag abend in seiner Wohnung anrief, war er nicht da, und sein im allgemeinen umgänglicher Mitbewohner gab sich maulfaul, als sie ihn fragte, wo Simon sein könnte. Er schien sich in seiner Haut nicht recht wohl zu fühlen.
»Ich hab ein sehr schlechtes Gefühl«, sagte Charlotte zu mir.
Sie rief Simon am Mittwoch im Büro an, aber er ging nicht an den Apparat. Statt dessen meldete sich eine Frau und erkundigte sich, mit wem sie spreche. Als Charlotte ihren Namen nannte, sagte die Frau: »Simon ist in einer Sitzung.«
Bei einem erneuten Anruf etwa eine Stunde später bekam sie dieselbe Antwort.
Daraufhin bat sie ihre Freundin Jennifer anzurufen, und mit einem Mal war Simon erreichbar. In dem Augenblick, in dem Simon »Hallo« sagte, gab Jennifer den Hörer an Charlotte weiter, und diese fragte: »Simon, was ist los? Gehst du mir aus dem Weg?«
Daraufhin lachte Simon nervös
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