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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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acht mit dem Trinken anzufangen und so weiter.
    Zu meiner Empörung merkte ich, daß die Sache überhaupt nicht in diese Richtung ging. Alle Anwesenden sprachen darüber, daß sie versuchten, ihre der Trunksucht verfallenen Ehemänner oder Freunde, Ehefrauen, Töchter oder Freundinnen oder wer auch immer es war, sich selbst zu überlassen und ihr eigenes Leben zu führen. Ein Mann sagte, seine Mutter sei Alkoholikerin und er verliebe sich immer nur in hilflose, trunksüchtige Frauen.
    Sie unterhielten sich über »Co-Abhängigkeit«. Darunter konnte ich mir zwar etwas vorstellen, denn ich hatte schon viele Selbsthilfebücher gelesen, nur verstand ich nicht, was das mit meinem Vater und mir zu tun haben sollte.
    »Sie können Ihren Vater nicht ändern«, sagte mir eine Frau. »Damit, daß Sie es versuchen, weichen Sie lediglich Ihren eigenen Problemen aus.«
    »Mein Vater ist mein Problem«, sagte ich gereizt.
    »Das ist er nicht«, sagte sie.
    »Wie können Sie so herzlos sein?« fragte ich. »Ich liebe meinen Vater.«
    »Meinen Sie nicht, daß Sie einen Anspruch auf ein erfülltes Leben haben?« fragte sie.
    »Ich kann ihn unmöglich sich selbst überlassen«, sagte ich steif.
    »Das könnte das beste sein, was Sie je getan haben«, antwortete sie.
    »Mein schlechtes Gewissen würde mich umbringen«, sagte ich selbstgerecht.
    »Ein schlechtes Gewissen dient der intellektuellen Selbstbefriedigung«, sagte sie.
    »Wie können Sie es wagen?«, sagte ich. »Sie haben ja keine Ahnung, wovon Sie reden.«
    »Ich weiß genau, was Sie durchmachen«, sagte sie. »Ich war mit einem Alkoholiker verheiratet.«
    »Ich bin ein völlig normaler Mensch, der zufällig einen trunksüchtigen Vater hat. Ich bin nicht wie die... wie die... Verlierertypen hier, die zu diesen blöden Treffen kommen und sich darüber aussülzen, wie sie es schaffen, sich von dem Alkoholiker in ihrem Leben zu trennen .«
    »Das hab ich am Anfang auch gesagt«, sagte sie.
    »Großer Gott!« sagte ich wütend. »Ich will ihm einfach dabei helfen, daß er aufhört. Was ist denn daran falsch?«
    »Das können Sie nicht«, sagte sie. »Sie haben keine Macht über ihn und seine Sucht – wohl aber über Ihr eigenes Leben.«
    »Ich habe eine Verantwortung, der ich mich nicht entziehen kann.«
    »Ja, die Verantwortung für sich selbst. Es ist nicht damit getan, daß der eine aufhört zu trinken, damit es dem anderen von einem Tag auf den anderen gutgeht.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Wie sehen Ihre Beziehungen mit anderen Männern aus?« Ich gab darauf keine Antwort.
    »Frauen wie wir haben oft große Schwierigkeiten, eine gute Beziehung aufzubauen«, sagte sie.
    »Ich bin keine Frau wie Sie«, sagte ich verächtlich.
    »Sie würden sich wundern, wenn Sie wüßten, wie viele von uns die falsche Art von Beziehung zur falschen Art von Mann haben«, sagte sie freundlich, »weil sich unsere Erwartungen an dem orientieren, was wir vom Umgang mit dem Alkoholiker in unserem Leben kennen. Hier ist meine Telefonnummer«, fügte sie hinzu. »Rufen Sie mich an, wenn Sie das Bedürfnis haben, mit mir zu reden. Jederzeit.«
    Ich ging, bevor sie mir den Zettel in die Hand drücken konnte. Ich hatte einen weiteren Weg erkundet und war wieder in einer Sackgasse gelandet. Was sollte ich jetzt noch tun? Ich versuchte, ihm weniger Geld zu geben. Aber er flehte und bettelte mit Tränen in den Augen, und ich hatte ein so entsetzlich schlechtes Gewissen, daß ich es ihm gab, obwohl ich es mir eigentlich nicht leisten konnte.
    Ich schwankte zwischen Zorn und so tiefer Trauer, daß ich dachte, es würde mir das Herz brechen. Manchmal haßte ich ihn, und manchmal liebte ich ihn, merkte aber, wie meine Verzweiflung immer stärker wurde und ich immer mehr das Gefühl hatte, in der Falle zu sitzen.

72
    W eihnachten war verheerend. An keiner der Hunderte von Feiern, an keinem der Besäufnisse konnte ich teilnehmen. Während sich alle anderen in kurze schwarze Glitzerkleider warfen, fuhr ich mit der U-Bahn heim nach Uxbridge. Während sich alle anderen übergaben oder mit ihrem Chef herumknutschten, bat ich meinen Vater, wieder einzuschlafen und sagte ihm, es sei wirklich nicht schlimm, daß er wieder ins Bett gemacht hatte.
    Vermutlich hatte meine gute Fee ihre Anweisungen falsch verstanden, denn statt zu sagen »Geh dich ruhig besaufen«, schien sie gesagt zu haben »Geh den Besoffenen saubermachen«.
    Selbst wenn jemand dagewesen wäre, sich um Dad zu kümmern, hätte ich nicht

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