Lucy Sullivan wird heiraten
weiter?«
»Er stirbt, wenn er nicht aufhört zu trinken«, sagte er. Die Angst ließ mich schwindlig werden.
»Aber wir müssen dafür sorgen, daß er aufhört«, sagte ich verzweifelt. »Ich habe schon von schweren Trinkern gehört, die aufgehört haben. Wie haben die das gemacht?«
»Das einzige, wovon ich je gehört hab, daß es etwas nützt, sind die AA«, sagte er.
»Was ist d...?« Im selben Augenblick dämmerte es mir. »Ach so, Sie meinen die Anonymen Alkoholiker«, sagte ich. »Ich finde nicht, daß er zu denen gehen sollte. Da wimmelt es ja von... von... Alkoholikern. «
»Eben.«
»Aber jetzt mal im Ernst«, fast hätte ich laut gelacht. »Stinkende alte Männer mit einem Strick um die Jacke und Plastiktüten an den Füßen? Hören Sie, so ist mein Vater nicht.«
Doch wenn ich es recht bedachte, roch er ziemlich streng und schien nicht annähernd so oft zu baden, wie er die Wanne einlaufen ließ. Aber das würde ich Dr. Thornton nicht auf die Nase binden.
»Alkoholiker gibt es in vielerlei Gestalt«, sagte er, »Männer und Frauen, Junge und Alte, Stinkende und Wohlriechende.«
»Wirklich?« fragte ich ungläubig.
»Ja.«
»Auch Frauen?«
»Ja. Frauen mit Familie, mit einem Mann, Mütter, die tagsüber arbeiten, Frauen mit eleganter Kleidung, hohen Absätzen, Parfüm und herrlichem Haar...« Er ließ den Satz unvollendet. Er kam mir traurig vor und schien an jemand ganz bestimmten zu denken.
»Und die gehen dann zu den AA? Was passiert da?«
»Sie trinken nicht mehr.«
»Nie wieder?«
»Nie wieder.«
»Nicht mal zu Weihnachten, zu Hochzeiten, an Feiertagen und so weiter?«
»Nein.«
»Ich bin nicht sicher, ob er das mitmachen würde«, gab ich zu bedenken.
»Es geht dabei um alles oder nichts«, sagte der Arzt. »Im Fall Ihres Vaters läuft es wohl auf nichts hinaus.«
»Na gut«, seufzte ich. »Wenn das die einzige Möglichkeit ist, will ich ihm das mit den Anonymen Alkoholikern sagen.«
»Das weiß er schon«, sagte Dr. Thornton. Ärger lag in seiner Stimme. »Er weiß es seit Jahren.«
Ich brachte das Thema an jenem Abend zur Sprache. Nach einer Weile. Ich hatte es immer wieder vor mir hergeschoben, so daß Dad schließlich betrunken war, bevor ich dazu kam.
»Dad«, sagte ich nervös und mit zittriger Stimme. »Hast du dir je überlegt, daß du zuviel trinkst?«
Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, so, wie noch nie zuvor. Er wirkte verändert. Wie ein boshafter, unangenehmer, betrunkener alter Mann, einer von denen, die man auf der Straße sieht, wie sie mit schwerer Zunge Beleidigungen ausstoßen und um sich schlagen, aber zu betrunken sind, als daß sie Schaden anrichten könnten. Er sah mich aufmerksam an, als wäre ich seine Feindin.
»Meine Frau ist vor kurzem davongelaufen«, sagte er angriffslustig. »Willst du mir da einen Schluck verbieten?«
»Nein«, sagte ich. »Natürlich nicht.« So etwas war mir nicht gegeben.
»Weißt du, Dad«, fuhr ich fort. Jedes Wort, das ich jetzt sagen mußte, war mir verhaßt. Ich war nicht seine Mutter, sondern seine Tochter, er hatte das Recht, mir Vorschriften zu machen, und nicht umgekehrt.
»Es ist eine Frage des Geldes«, brachte ich schließlich feige heraus.
»Ich weiß schon«, sagte er laut. »Geld, Geld, Geld. Es ist immer dasselbe. Du bist genau wie deine Mutter. Warum gehst du nicht auch weg? Mach schon, verschwinde. Da ist die Tür.« Damit war das Gespräch beendet.
»Natürlich verlaß ich dich nicht«, flüsterte ich. »Ich werde nie von dir fortgehen.«
Der Teufel sollte mich holen, wenn ich mir eingestand, daß meine Mutter recht gehabt hatte.
Doch schon bald schien sich der Zustand meines Vaters auffällig zu verschlimmern. Vielleicht lag es auch nur daran, daß ich mir jetzt darüber klar war. Es wurde deutlich, daß er schon morgens trank und in der Kneipe um die Ecke Schlägereien anzettelte. Einige Male brachte ihn die Polizei mitten in der Nacht nach Hause.
Aber noch hielt ich mich. Ich konnte nicht zu Boden gehen, weil ich niemanden hatte, der mich wieder aufgesammelt hätte.
Wieder ging ich zu Dr. Thornton. Als er mich sah, schüttelte er lediglich den Kopf und sagte: »Bedaure, es hat nach wie vor niemand eine Wunderkur erfunden, jedenfalls nicht bis heute morgen zehn Uhr.«
»Augenblick«, sagte ich eifrig. »Ich hab über Hypnose gelesen – könnte man Dad unter Hypnose dazu bringen, daß er aufhört? Sie wissen schon, wie man Leute hypnotisiert, damit sie nicht mehr rauchen oder
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