Lucy Sullivan wird heiraten
leid, Lucy«, sagte er, als ich ihm öffnete. »Ist es sehr schlimm?«
Er wollte mich in den Arm nehmen, aber ich wich ihm geschickt aus. Sexuelle Verlockung war das letzte, was ich in meinem brodelnden Kessel von Gefühlen brauchen konnte.
»Ziemlich«, sagte ich, während mir die Tränen über das Gesicht liefen.
»Großer Gott! Hattet ihr hier ein Erdbeben?«
»Nein...«
»Ich verstehe, Einbrecher! Rühr nichts an.«
»Das waren keine Einbrecher«, schluchzte ich. »Mein Vater hat im Suff alles kurz und klein geschlagen.«
»Das kann ich nicht glauben.« Er sah wirklich entsetzt drein, was meine Verzweiflung noch steigerte.
»Aber warum nur?« fragte er und fuhr sich mit den Händen durch das Haar.
»Was weiß ich? Aber das ist noch nicht alles. Die Polizei hat ihn in Gewahrsam genommen.«
»Seit wann wird man dafür festgenommen, daß man in seinen eigenen vier Wänden alles kurz und klein schlägt? Unser Land hat von Tag zu Tag mehr Ähnlichkeit mit einem Polizeistaat. Als nächstes verbietet man uns noch, den Toast zu verbrennen, Eiscreme gleich aus der Großpackung zu löffeln und...«
»Hör bloß auf, du scheißliberaler Halbintellektueller.« Wider Willen mußte ich lachen. »Ich hab keine Ahnung, warum man ihn da festhält, und ich wage es mir nicht auszumalen. Aber mit Sicherheit nicht deswegen.«
»Heißt das, man muß ihn loseisen und dafür Geld auf den Tisch des Hauses blättern?«
»So ist es.«
»Dann komm, Lucy, werfen wir uns in meine Lustschleuder und retten deinen Vater!«
Dad wurden rund eine Million Vergehen zur Last gelegt: Erregung öffentlichen Ärgernisses, Sachbeschädigung, versuchte Körperverletzung, Hausfriedensbruch und noch vieles andere. Es war fürchterlich. Ich hätte nie gedacht, daß ich meinen Vater von der Polizeiwache würde abholen müssen.
Als man ihn aus der Ausnüchterungszelle holte, sah er so aus, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun. Daniel und ich fuhren ihn nach Hause und brachten ihn ins Bett. Dann machte ich Daniel eine Tasse Tee.
»So, Lucy, und wie lösen wir das Problem?« fragte er.
»Wer ist ›wir‹?« fragte ich kampflustig.
»Du und ich.«
»Was hat das mit dir zu tun?«
»Könntest du versuchen, nur dieses eine Mal nicht mit mir zu streiten? Ich möchte dir gern helfen.«
»Ich will deine Hilfe nicht.«
»Doch«, sagte er, »sonst hättest du mich nicht angerufen. Es ist keine Schande «, fügte er hinzu. »Du brauchst gar nicht so empfindlich zu sein.«
»Das wärest du auch, wenn dein Vater ein Trunkenbold wäre«, sagte ich, während mir Tränen über das Gesicht liefen – schon wieder. »Nun, vielleicht ist er kein Trunkenbold...«
»Doch, das ist er«, sagte Daniel fest.
»Nenn ihn, wie du willst«, schluchzte ich. »Es ist mir scheißegal. Auf jeden Fall trinkt er und richtet mein Leben zugrunde.« Ich weinte mir noch eine ganze Weile die Anspannung von vielen Monaten des Kummers von der Seele.
»Hattest du das gewußt?« fragte ich. »Ich meine, das mit meinem Vater?«
»Äh, ja.«
»Und woher?«
»Von Chris.«
»Und warum hat mir keiner was gesagt?«
»Man hat es dir gesagt.«
»Und warum hat mir dann niemand geholfen?«
»Man hat es versucht. Du wolltest dir nicht helfen lassen.«
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Wie wäre es, wenn du ausziehst? Soll sich doch jemand anders um ihn kümmern!«
»Nein«, sagte ich angstvoll.
»Schön, du mußt nicht, wenn du nicht willst. Aber es gibt viele Leute, die dir helfen können. Abgesehen von deinen Brüdern gibt es Haushaltshilfen, Sozialarbeiter und einen Haufen andere Möglichkeiten. Du kannst dich nach wie vor um ihn kümmern, brauchst es aber nicht allein zu tun.«
»Ich will darüber nachdenken.«
Um Mitternacht, Daniel und ich saßen immer noch bedrückt am Küchentisch, klingelte das Telefon. Ich nahm angstvoll ab.
»Hallo?«
»Kann ich mit Lucy Sullivan sprechen?« dröhnte eine vertraute Stimme.
»Gus?« fragte ich, während mich Freude durchflutete.
»Genau der«, brüllte er.
»Hallo.« Am liebsten hätte ich getanzt. »Woher hast du meine Nummer?«
»Ich hab die unheimliche Blondine bei McMullens getroffen, und die hat mir gesagt, daß du da draußen am Arsch der Welt wohnst. Ich hatte schon die ganze Zeit an dich gedacht. Du hast mir richtig gefehlt.«
»Tatsächlich?« Fast wären mir vor Freude die Tränen gekommen.
»Natürlich, Lucy. Also hab ich zu ihr gesagt, ›Dann rück mal die Nummer raus, damit ich Lucy anrufen und
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