Lucy Sullivan wird heiraten
diesem Elternteil besser geht.‹ Verstehst du?«
»Schon.« Das war nicht ganz falsch. Ich konnte mich an viele Anlässe erinnern, bei denen Dad geweint hatte, ohne daß ich gewußt hätte, warum. Und ich erinnerte mich, daß ich immer sehr verunsichert gewesen war, ob ich daran jetzt schuld sei, und wie ich Angst gehabt hatte, er würde nie wieder glücklich sein. Ich hätte alles getan, ihm zu helfen, dafür zu sorgen, daß es ihm besser ging.
Munter fuhr Charlotte fort, mein Leben in die dazu passende Schublade ihrer Theorie zu quetschen.
»›Während das Kind – also du wieder, Lucy – im Laufe der Zeit erwachsen wird, fühlt es sich von Situationen angezogen, die gleichsam als..., was zum Teufel kann das sein? Re... redu... redupl...«
»Reduplikation«, half ich ihr aus.
»Mensch Lucy, woher hast du das gewußt?« Sie war beeindruckt und fuhr fort, »als Re-du-pli-ka-tio-nen seiner Kindheit anzusehen sind.« Und ob ich das wußte. Schließlich hatte ich das Buch schon x-mal gelesen, na ja, zumindest einmal, und kannte alle Theorien in- und auswendig, die es enthielt. Nur war ich nie davon ausgegangen, daß sie für mich gelten könnten.
»Das Wort bedeutet soviel wie ›Wiederholung‹, nicht wahr, Lucy?«
»Ja, Charlotte.«
»Du hast also gespürt, daß dein Vater ein Säufer war und versucht, dafür zu sorgen, daß es ihm besser ging. Aber das konntest du nicht. Was nicht deine Schuld war«, fügte sie rasch hinzu. »Schließlich warst du ja nur ein kleines Mädchen. Was hättest du da schon tun können? Die Flaschen vor ihm verstecken?«
Die Flaschen vor ihm verstecken. Das kam mir bekannt vor. Es lag alles in ferner Erinnerung, und war mehr als zwanzig Jahre her. Und plötzlich fiel mir eine Situation ein, ich mochte vier oder fünf Jahre alt gewesen sein, wo Chris gesagt hatte: »Komm, Lucy, wir verstecken seine Flaschen. Dann brauchen sich die beiden nicht zu streiten.«
Mir tat das Herz weh beim Gedanken an das kleine Mädchen, das eine Flasche Whiskey, fast ebenso groß wie sie selbst, im Hundekörbchen versteckt hatte. Aber Charlotte plapperte weiter, so daß ich meine Erinnerung für später aufheben mußte.
»Inzwischen ist aus dem Kind – immer noch du, Lucy – eine junge Frau geworden, die allerlei Männer kennenlernt. Aber angezogen fühlt sie sich von solchen, die die gleichen Probleme haben wie ihr Vater. Verstehst du?«
»Durchaus.«
»Sie empfindet die Gegenwart eines Trinkers, eines gewalttätigen Mannes oder eines Mannes, der nicht mit Geld umgehen kann, als vertraut...« las sie laut weiter.
»Mein Vater war nie gewalttätig«, sagte ich, fast unter Tränen.
»Ruhig, Lucy.« Charlotte drohte mir mit dem Finger. »Das sind nur Beispiele. Es bedeutet, daß sich das Kind, wenn der Vater beim Abendessen immer ein Gorilla-Kostüm anhatte, später bei Männern wohlfühlt, die mit einem Pelzmantel rumlaufen oder einen behaarten Rücken haben, verstehst du?« Sie seufzte übertrieben geduldig.
»Es bedeutet, daß du mit Kerlen rumgezogen bist, die arbeitslos und ständig besoffen waren und dich an deinen Vater erinnerten. Manchmal waren sie auch Iren. Und weil du deinen Vater nicht glücklich machen konntest, ist es dir vorgekommen, als hättest du da eine zweite Chance und hast gedacht, ›Ach schön, den krieg ich hin, selbst wenn ich meinen Dad nicht hingekriegt hab‹. Verstehst du?«
»Kann sein.« Es schmerzte so sehr, daß ich sie fast gebeten hätte aufzuhören.
»Genau so ist es«, sagte Charlotte mit Nachdruck. »Du hast es ja nicht mit Absicht getan, und ich sag auch nicht, daß du schuld daran warst. Dein Bewußtsein hat das getan.«
»Solltest du mein Unterbewußtsein meinen?« Sie sah ins Buch.
»Ach ja, dein Unter-Bewußtsein. Was ist denn da der Unterschied?« Ich hatte nicht die Kraft, es ihr zu erklären.
»Und deswegen hast du dich immer in verrückte Saufköpfe wie Gus und Malachy verknallt, und in... wie hieß der Kerl noch, der aus dem Fenster gefallen ist?«
»Nick.«
»Richtig, Nick. Wie geht es dem übrigens?«
»Soweit ich weiß, sitzt er immer noch im Rollstuhl.«
»Ach, wie schrecklich«, sagte sie, mit einem Mal gedämpft. »Ist er ein Krüppel ?«
»Nein, Charlotte«, gab ich knapp zurück. »Es geht ihm wieder gut, aber er sagt, der Rollstuhl ist für ihn viel praktischer, weil er ja doch dauernd zu ist.«
»Dann ist ja alles in Ordnung«, seufzte sie erleichtert. »Ich dachte schon, sein Schwanz wär im Eimer.«
Es hätte keinen
Weitere Kostenlose Bücher