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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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komisch an und hielten sich von mir fern. Immer mußte ich daran denken, wie schäbig ich Gus behandelt hatte, und eine triumphierende Stimme in meinem Kopf erinnerte mich an die alte Weisheit: »Wer grausam handeln will, muß grausam sein.« Mit bitterer Freude überlegte ich, was mein Vater in meiner Abwesenheit wohl kurz und klein geschlagen haben könnte. Wahrscheinlich hatte der betrunkene alte Narr das Haus niedergebrannt. In dem Fall hoffte ich nur, daß er es geschafft hatte, sich mit zu verbrennen.
    Ich stellte mir vor, was für eine Feuersbrunst das wäre und mußte trotz allem laut lachen. Das trug mir weitere befremdete Blicke von den anderen Fahrgästen ein. Es würde etwa eine Woche dauern, den Brand zu löschen. Er würde so leuchtend hell brennen, daß man ihn wahrscheinlich aus dem Weltraum sehen konnte, so, wie die Chinesische Mauer. Vielleicht konnte man einen Generator daran anschließen, der ein paar Tage lang ganz London mit Strom versorgen würde.
    Ich haßte meinen Vater. Ich hatte gesehen, wie schlecht mich Gus behandelt hatte, ohne daß ich mich dagegen gewehrt hätte, und haargenau so behandelte mich mein Vater. Ich konnte nur betrunkene, verantwortungslose, mittellose Männer lieben, denn das hatte er mich gelehrt.
    Aber es kam mir nicht so vor, als liebte ich ihn noch immer. Ich hatte genug. Er konnte sich ab sofort um sich selbst kümmern. Ich würde ihm auch kein Geld mehr geben – ebensowenig wie Gus. Er und Dad waren im Schmelztiegel meines Zorns in eins zusammengeflossen. Obwohl Dad nie Megan über das Haar gestrichen hatte, war ich wütend darauf, daß er es getan hatte. Gus hatte mir nicht, als ich ein kleines Mädchen war, mit Tränen in den Augen gesagt, daß die Welt eine Jauchegrube sei, aber das war noch lange kein Grund, ihm zu verzeihen.
    Tatsächlich war ich dem einen wie dem anderen dankbar dafür, daß sie mich so übel behandelt und mich in eine Situation getrieben hatten, in der sie mir herzlich einerlei waren. Was, wenn ich das nie erkannt hätte? Wenn sie ein wenig netter gewesen wären, hätte das auf alle Zeiten so weitergehen können und ich hätte ihnen immer wieder verziehen.
    Erinnerungen an andere Beziehungen bestürmten mich, Beziehungen, von denen ich angenommen hatte, ich hätte sie vergessen. Andere Männer, andere Demütigungen, andere Situationen, in denen ich es mir zur Lebensaufgabe gemacht hatte, mich um einen schwierigen und selbstsüchtigen Menschen zu kümmern.
    Mit dem mir wesensfremden Zorn war eine weitere mir bis dahin fremde Empfindung an die Oberfläche gekommen. Sie hieß Selbsterhaltungstrieb.

76
    »H ast du ein Glück«, seufzte Charlotte neidisch.
    »Wieso?« fragte ich überrascht. Ich konnte mir niemanden vorstellen, der weniger Glück hatte als ich.
    »Weil bei dir jetzt alles klar ist«, sagte sie.
    »Findest du?«
    »Ja. Ich wollte, mein Vater wäre Alkoholiker und ich haßte meine Mutter.«
    Diese aberwitzige Unterhaltung fand in der Wohnung in Ladbroke Grove statt, einen Tag, nachdem ich aus dem Haus meines Vaters ausgezogen war. Fast hätte sie mich dazu gebracht, mir zu überlegen, ob ich nicht wieder bei Dad einziehen sollte.
    »Könnte ich doch nur so sein wie du«, fuhr Charlotte fort. »Aber mein Vater behält bei sich, was er trinkt, und ich liebe meine Mutter. Das ist einfach ungerecht«, fügte sie bitter hinzu.
    »Charlotte, wovon redest du?«
    »Natürlich von Männern.« Meine Frage schien sie zu überraschen. »Jungs, Typen, Burschen, die Kerle mit den Bumsknüppeln.«
    »Und was ist mit denen?«
    »Du lernst eines Tages den Richtigen kennen und lebst mit ihm glücklich und zufrieden.«
    »Meinst du?« Das hörte sich schön an, aber ich fragte mich doch, woher sie ihre Information bezog.
    »Ja.« Sie fuchtelte mit dem Buch herum, in dem sie gerade las. »Hier steht es. »Es ist eins von deinen verrückten Büchern. Da steht drin, daß Frauen wie du immer auf Typen reinfallen, die wie ihre Väter sind – du weißt schon, Säufer, die keine Verantwortung übernehmen wollen und so weiter.« Mich durchfuhr ein stechender Schmerz, aber ich ließ sie weiterreden.
    »Ihr könnt nichts dazu. Das ist einfach so«, sagte sie und las vor »›Ein Kind – also du, Lucy – spürt es, wenn ein Elternteil – also dein Vater – unglücklich ist und hält das – wahrscheinlich, weil es noch dumm ist, ich wüßte sonst auch keinen Grund – für seine Schuld. Daher sieht es seine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, daß es

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