Lucy Sullivan wird heiraten
ich wußte, daß ich genug hatte.
Als das Lokal geschlossen wurde, stritt sich Gus mit einem der Kellner – das kam ziemlich regelmäßig vor. Der Kellner rief »Habt ihr kein Zuhause?«, und Gus fand, so etwas Entsetzliches könne er nicht sagen. Wenige Tage zuvor hatte es in China ein Erdbeben gegeben – »und wenn das jetzt ein Chinese gehört hätte?« brüllte er. Es ist nicht der Mühe wert, auf den Rest des unzusammenhängenden Gefasels einzugehen. Jedenfalls schob der Kellner ihn zur Tür, wobei Gus um sich schlug und brüllte: »Ich hoffe, du rufst vergeblich nach ’nem Priester, wenn du stirbst.«
Solches Verhalten hatte ich einmal bewundert, ich hatte Gus für einen Rebellen gehalten!
Wir standen auf der Straße, während die Tür hinter uns mit Nachdruck geschlossen wurde.
»So, Lucy, jetzt gehen wir nach Hause«, sagte Gus, wobei er leicht hin und her schwankte und vor sich auf den Boden starrte.
»Nach Hause?« fragte ich höflich.
»Ja«, sagte er.
»Einverstanden«, sagte ich sanftmütig. Auf sein Gesicht trat ein Siegerlächeln.
»Und wo wohnst du jetzt?« fragte ich.
»Immer noch in Camden«, sagte er. »Aber wieso...?«
»Alsdann, auf nach Camden.«
»Nein«, sagte er beunruhigt.
»Warum nicht?« fragte ich.
»Das geht nicht«, sagte er.
»Wieso nicht?«
»Weil es einfach... nicht geht.«
»Ins Haus meines Vaters kommst du nicht mit.«
»Aber warum nicht? Bestimmt kommen dein Alter und ich glänzend miteinander aus.«
»Das glaube ich auch«, stimmte ich zu, »und genau das gefällt mir nicht.«
Irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Vermutet hatte ich das schon immer. Wahrscheinlich lebte er in Camden mit einer Frau zusammen – etwas in der Art.
Aber inzwischen war es mir gleichgültig. Ich hätte ihn nicht einmal mit der Kneifzange angefaßt. Ich verstand überhaupt nicht, wie ich je auf ihn hatte abfahren können. Mit seiner blöden Lammfelljacke und seinem schmuddeligen braunen Pullover sah er aus wie ein Gnom, ein kleiner betrunkener Kobold.
Der Bann war gebrochen. Alles an Gus stieß mich ab. Er roch sogar befremdend. Widerlich, wie ein Teppich am Morgen nach einer wirklich wüsten Party.
»Spar dir deine Entschuldigungen«, sagte ich. »Sag mir nicht, warum du mich nicht mit in deine Wohnung nehmen willst. Warum du es nie getan hast. Spar dir deine blöden Geschichten.«
»Was für blöde Geschichten?« fragte er. Das Wort »Geschichten« bereitete ihm Schwierigkeiten, es klang wie »Gechichten.«
»Mal sehen«, sagte ich. »Vielleicht würdest du mir erzählen, daß du dich für deinen Bruder um eine Kuh kümmerst, die du nirgendwo unterbringen konntest und deshalb in deinem Zimmer hältst. Außerdem ist sie ein bißchen scheu und fürchtet sich vor Fremden.«
»Meinst du?« fragte er nachdenklich. »Da könntest du sogar recht haben, das klingt ganz nach mir. Du bist eine außergewöhnliche Frau, Lucy Sullivan.«
»Absolut nicht«, lächelte ich. »Damit ist Schluß.« Das verwirrte ihm den schon vom Alkohol benebelten Kopf.
»Siehst du«, sagte er. »Wir müssen doch zu dir nach Hause gehen.«
»Das tue ich «, sagte ich. »Du nicht.«
»Aber...« sagte er.
»Mach’s gut«, rief ich ihm zu.
»Warte, Lucy«, sagte er beunruhigt. Ich drehte mich um und lächelte ihn nachsichtig an. »Ja?«
»Wie soll ich denn nach Hause kommen?« fragte er.
»Seh ich aus wie eine Hellseherin?« fragte ich unschuldig.
»Aber Lucy, ich hab kein Geld.« Ich hob mein Gesicht zu ihm und lächelte. Er lächelte zurück.
»Offen gestanden ist mir das scheißegal, mein Bester«, sagte ich strahlend. Das hatte ich ihm schon immer sagen wollen.
»Wie darf ich das verstehen?«
»Ich sag es in einer Sprache, die du verstehst.« Um die Wirkung meiner Worte zu steigern, machte ich eine Pause und sagte dicht an seinem Ohr: »VERPISS DICH!« Erneut machte ich eine Pause, um noch einmal tief Luft zu holen: »Quetsch aus anderen Geld raus, du besoffener Arsch. Bei mir kannst du nicht mehr landen.«
Dann ging ich mit zufriedenem Lächeln die Straße hinunter, während mir Gus mit offenem Mund nachstarrte.
Nach wenigen Schritten fiel mir auf, daß es die falsche Richtung war, vom U-Bahnhof weg. So schlich ich mich den Weg zurück, den ich gekommen war, in der Hoffnung, daß der kleine Dreckskerl nicht mehr da war und mich sehen konnte.
75
I ch war vor Wut richtig beschwingt.
Ich fuhr nach Uxbridge, aber nur, um meine Sachen zu holen. Die Mitfahrenden in der U-Bahn sahen mich
Weitere Kostenlose Bücher